Trotz starker Zuwanderung kann Deutschland seinen Bedarf an Fachkräften nicht decken. Das hat mehrere Ursachen. Jahrzehntelang wurde das Studium als wichtigster Bildungsweg angesehen, während die normale Ausbildung einen niederen Stellenwert hatte. In die Hörsäle gelangten so vielfach Menschen, die für ein Studium überhaupt nicht geeignet sind. Diese fehlen nun dort, wo der Bedarf zunimmt. Zudem verursachen Renteneintritte immer größer werdende Lücken, die auch durch eine millionenfache Migration nicht mehr geschlossen werden können. Der Anteil der arbeitenden Zuwanderer ist zu gering. Bei einem nicht unwesentlichen Teil gibt Motivations-, Qualifikations-, Sprach- und Anerkennungsprobleme.
Besonders in der Pflege spitzt sich die Situation immer weiter zu. Das Personal fühlt sich dort zunehmend „verheizt“. Die Bundesregierung hat die Entwicklung zu spät erkannt und wirbt nun in verschiedenen Ländern um Fachkräfte, und zwar auf den Philippinen, in Vietnam, Indien, Indonesien, Brasilien, Mexiko, Serbien, Kosovo, Bosnien, Herzegowina, Jordanien und Tunesien. Der Fokus bei der Rekrutierung ausländischer Pflegekräfte liegt in Asien, Latein- und Südamerika sowie europäischen Staaten, die nicht der EU angehören.
Angesichts von rund 30’000 offenen Stellen in der Pflege werden die Ergebnisse der staatlichen Programme jedoch als „völlig unbefriedigend“ kritisiert. Sie leisten bisher nur einen kleinen Beitrag zur Deckung des Fachkräftebedarfs. Über das staatliche Programm „Triple Win“ wurden im Jahr 2022 nur 463 Pflegefachkräfte und 91 Auszubildende vermittelt. In den sechs Jahren von 2013 bis 2018 konnten insgesamt etwa 2500 Pflegekräfte aus Nicht-EU-Staaten durch staatliche Programme angeworben werden. Bei genauerer Betrachtung fällt die Bilanz der einzelnen Programme sehr unterschiedlich aus. Während aus Bosnien-Herzegowina, Serbien, Tunesien und den Philippinen zusammen 2385 Kräfte kamen, waren es aus China nur 39, und aus Mexiko 85 Menschen. Erfolgreicher sind Anwerbungen über private Vermittlungsagenturen und Arbeitgeber. Ihr Anteil wird auf 80 % bis 90 % geschätzt. Insgesamt hat sich die Zahl der angeworbenen ausländischen Pflegekräfte seit 2016 zwar verdreifacht, doch der Bedarf ist weitaus höher.
Nicht wenige ausländische Kräfte nehmen von der Pflegearbeit in deutschen Seniorenheimen nach ersten Erfahrungen wieder Abstand. Häufig sind die Probleme größer als zunächst vermutet. Beispiel Brasilien: Dort belegt Deutschland als Auswanderungsland für Brasilianer inzwischen Platz 3 hinter den USA und Großbritannien. Viele brasilianische Pflegekräfte sehen hier die Möglichkeit einer sicheren Beschäftigung mit guter Bezahlung. Einige hoffen auch auf bessere Bildungsmöglichkeiten und mehr Sicherheit für ihre Kinder in Deutschland. Doch die sprachlichen Hürden sind groß. Obwohl die Pflegekräfte Deutschkurse absolvieren, reicht das Sprachniveau B 1 oft nicht für den Arbeitsalltag aus. Brasilianische Pflegekräfte sind zudem häufig höher qualifiziert und für mehr Aufgaben ausgebildet als in Deutschland üblich. Dies führt zu Frustrationen, insbesondere wenn der medizinische Teil bei Einsatz in Seniorenheimen aufgrund der Arbeitssituation dann als zusätzliche Nebenaufgabe behandelt wird, und trotz höherer Qualifikation die einfachen Arbeiten am Pflegeempfänger im Vordergrund stehen. Zudem gestaltet sich die Anerkennung der brasilianischen Abschlüsse oft schwierig und langwierig. Manche brasilianische Pflegekräfte berichten von Problemen bei der Integration am Arbeitsplatz und im Alltag. Die ursprünglich geplante Anwerbung von bis zu 700 brasilianischen Pflegekräften pro Jahr wurde vorerst ausgesetzt. Die brasilianische Regierung äußerte Bedenken bezüglich eines möglichen Fachkräftemangels im eigenen Land.
Nun versucht die Bundesregierung gleiches in Tunesien. Einige Pflegekräfte von dort arbeiten bereits in Deutschland, jedoch vorwiegend in Krankenhäusern. Altenheime gehen zumeist leer aus. Tunesische Pflegekräfte verfügen in der Regel über einen Bachelorabschluss in Pflegewissenschaften, wodurch sie besonders für Krankenhäuser geeignet sind. Vor der Einreise nach Deutschland erhalten die Kandidaten Sprachkurse und werden auf das Leben in Deutschland vorbereitet. Die meisten Bewerber erreichen mindestens das Sprachniveau B 1, einige sogar B 2. Auch hier zeichnet sich mittlerweile ab, dass die Zahl der Rekrutierten unter den Erwartungen bleibt und die Seniorenheime von den Anwerbungen kaum profitieren.
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