Bürgerräte, Gesellschaftsräte, Auslosungen — diese Begriffe begegnen die Menschen nun auch in Deutschland immer häufiger, wenn über die Zukunft der Demokratie gesprochen wird. Das Ziel ist es, sie langsam mit einer neuen Systematik anzufreunden.
Dem voraus geht die Feststellung, dass die bisherige Ausgestaltung der Demokratie nicht mehr zeitgemäß ist. Zudem bröckele das Vertrauen der Bürger in die politischen Eliten, welche sich abgeschottet und die Möglichkeiten der Mitwirkung begrenzt haben. Die Demokratie brauche wieder mehr Wahrheit, und die Bürger besser Möglichkeiten, sich einzubringen. Künftig gelte es, Skeptiker besser zu überzeugen, bevor sie das Fundament der Demokratie untergraben.
In den Medien erscheinen nun zunehmend Beiträge, die beim Leser offenbar eine ganz konkrete Schlussfolgerung herbeiführen sollen. Ein gutes Beispiel liefert der Deutschlandfunk:
Ausgerichten will man die neue Form der Demokratie am Konzept der Wahrheit, die selbstverständlich von der Wissenschaft ausgeht. Von den Bürgern wird hierbei erwartet, sich den Experten, die diese Wahrheit verwalten und verkünden, unterzuordnen.
Damit wird auch klar, was es mit den Bürgerräten auf sich hat: Ausgeloste und fachlich größtenteils unbedarfte Menschen werden von Wahrheitsverkündern so „überzeugt“, dass sie schließlich zu dem gewünschten Ergebnis kommen. Man erhofft sich, dass die große Mehrheit die getroffenen Entscheidungen mitträgt, weil sie ja von einer repräsentativen Bürgergruppe erarbeitet wurden.
Interessant ist auch, in welcher Rolle sich die „Qualitätsmedien“ hierbei sehen, nämlich als Transferriemen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, mit einer Schiedsrichterfunktion im öffentlichen Diskurs. Gleichzeitig ist distanzierend von „politischen Eliten“ die Rede. Die Wissenschaft soll neben der Wahrheitsverkündung kritisch auf die staatliche Macht blicken, dort überkommende Wahrheitsansprüche entlarven und gleichzeitig technische Lösungen für die von der Politik definierten Probleme liefern.
Es dürfte niemanden überraschen, wenn bei allen Themen, mit denen sich solche Bürgerräte auseinandersetzen, der Klimawandel eine besondere Betonung erfährt. Denn mit ihm und passenden Untergangsszenarien lassen sich viele Dinge begründen, die bislang nur in dystopischen Romanen vorkommen. Dazu dienen letztendlich auch die „technischen Lösungen“.
Bis Juli 2023 will der Bundestag nun die Einsetzung eines Bürgerrates beschließen. Ende September soll das neue Gremium seine erste Sitzung abhalten. Damit beginnt ein langsamer, kleinschrittiger und völlig harmlos wirkender Umwandlungsprozess. Anfangs wird alles noch recht unverdächtig erscheinen: Vorgesehen ist nur, dass die Bürgerräte zu bestimmten Fragen ein nichtbindendes Gutachten erstellen und es dem Parlament übergeben. Sie unterstützen und ergänzen dieses lediglich, wird es zunächst heißen. Die erste Frage soll im Mai formuliert werden. Viele kleine Schritte und Jahrzehnte später könnten sich die Bürger schließlich in der sogenannten partizipativen Demokratie wiederfinden, getragen vom Glauben, das sei die beste Form der Mitbestimmung, und alle Entscheidungen wären identisch mit dem Mehrheitswillen des Volkes.
Nicht bewusst dürfte den meisten aber sein, dass die bereitgestellten Experten und Moderatoren, die den Bürgerräten zur Seite gestellt werden, durchaus eine Erwartung haben, was das Ergebnis anbelangt. Man kann sie nicht auswählen und es herrscht keine Pluralität. Es werden Kleingruppen mit jeweils etwa acht Mitgliedern und eigenen Moderatoren gebildet, um Vorschläge zu erarbeiten. Am Ende des Prozesses stimmen alle Mitglieder über die Vorschläge ab, und es entsteht das bereits erwähnte Gutachten.
Vorgegangen wird dabei folgendermaßen: Die Moderatoren kreieren ein Gut-Böse-Szenario, sodass jeder, der mit bestimmten Dingen nicht einverstanden ist, den Eindruck erweckt, als wolle er in die falsche Richtung gehen. Psychologie spielt bei diesen Zusammenkünften eine sehr große Rolle. Andersdenkende lässt dieser Moderator mit Verweis auf die von den Experten bereitgestellten Fakten als töricht erscheinen. Das hat schließlich eine Signalwirkung auf die übrigen Teilnehmer, die sich nun umso mehr bemühen, auf der „richtigen Seite“ zu bleiben. Das Problem bei den in Kleingruppen erarbeiteten Vorschlägen ist, dass nach der finalen Zusammenstellung der Einzelvorschläge niemand mehr weiß, wie dominant welche Idee ursprünglich war.
Setzt sich die partizipative Demokratie durch, wird sie letztendlich der Technokratie zum Durchbruch verhelfen und die Menschen über Dinge abstimmen lassen, die eigentlich längst schon beschlossen sind.
Kommentar hinterlassen