Gegen die Corona-Politik wurde in Gera auch am Dienstag demonstriert. Mehrere hundert Teilnehmer hatten sich hierzu an der Kirche St. Johannis versammelt. Gegen 19 Uhr formierte sich ein Zug, der sich über die Clara-Zetkin-Straße, De-Smit-Straße, Breitscheidstraße, Heinrichstraße und weitere Straßen durch Innenstadt bewegte. Weitere Personen schlossen sich an, sodass die Gesamtzahl der Teilnehmer auf mehr als eintausend geschätzt wird. Der Zug bewegte sich auch vorbei am Haus des Oberbürgermeisters. Die Polizei war mit einem großen Aufgebot vor Ort. Teilnehmer einer Gegenveranstaltung hatten sich an der Kriminalpolizeiinspektion aufgestellt, in Sichtweite des Treffpunktes der Maßnahmenkritiker. Nachdem sich der Zug in Bewegung gesetzt hatte, verlagerten sie ihren Einsatzort an den Bachgassenkollektor.
Bereits ein Tag zuvor waren nach Angaben der Polizei etwa 3500 Menschen unterwegs, ausgehend vom Theaterplatz. Den Weg zur Innenstadt hatte die Polizei abgesperrt. Anlass der zweiten Versammlung dürften auch die Vorfälle am Montag vor dem Kultur- und Kongresszentrum gewesen sein. Ein Teilnehmer der Demonstration verlor bei einer Gewaltanwendung von Seiten der Polizei das Bewusstsein. Zuvor soll ein Polizist durch einen Demonstranten zu Schaden gekommen sein.
Der Stadtrat beschäftigte sich am 19. Januar 2022 in einer Aktuellen Stunde mit der Frage, wie die Stadt Gera mit den unangemeldeten Demonstrationen umgehen soll. Einen Antrag hierfür hatten die Fraktionen Bündnis ’90/Die Grünen, SPD und ein Stadtratsmitglied von Die Partei gestellt. Die meisten Redner verdeutlichten ihren Standpunkt mit der grundsätzlichen Haltung, dass Versammlungen legitim seien, sofern diese angemeldet seien und Regeln eingehalten würden.
Mit einem Aufmarsch vor seiner privaten Wohnung sei eine rote Linie überschritten worden, sagte Oberbürgermeister Julian Vonarb am Beginn der Stadtratssitzung.
Monika Hofmann, SPD, erklärte, ihre persönliche Toleranz ende dort, wo andere gefährdet werden. Was derzeit in Gera stattfinde, dürfe von keinem Demokraten geduldet werden. Dies gehe über die freie Meinungsäußerung und die Versammlungsfreiheit weit hinaus, sagte sie, insbesondere mit Bezug zu den Demonstranten vor dem Wohnhaus des Oberbürgermeisters.
Nils Fröhlich, Bündnis ’90/Die Grünen, sprach von Impfgegnern, Maskenverweigerern, Corona-Leugnern, Querdenkern, Verschwörungsenthusiasten — angestachelt von Leuten aus der AFD und anderen rechtsradikalen, rechtskonservativen und rechtsnationalen Kräften, die die Stimmung für sich ausnutzten. Seiner Ansicht nach wird die Normalität nicht zurückkehren, wenn man die Maßnahmen ablehne und die gesetzlichen Regeln missachte.
Dr. Harald Frank, AFD, verteidigte seinen Abdruck in der Zeitung „Neues Gera“ und bat zugleich um Entschuldigung. Er habe die Konsequenzen nicht kommen sehen und sprach von einem Missbrauch seines Artikels. Durch seine Zeitung war der Wohnsitz des Oberbürgermeisters bekannt geworden.
Daniel Reinhardt, Linkspartei, erachtete die Aktuelle Stunde für ungünstig, da sie nicht zur Befriedung beitragen könne. Er verwies auf eine verfehlte Politik. Die Spaltung der Gesellschaft diene vor allem den Feinden der Demokratie und dem Kapital. Die Montagsspaziergänger ließen sich von rechtsextremen Kräften anführen, die das Ziel verfolgten, den Rechtsstaat zu stürzen, wähnten sich aber in der gleichen Arbeit wie 1989. Er selbst habe sich trotz seiner Ängste aus der Liebe zum Menschen dreimal impfen lassen, sehe die Impfung als einen solidarischen Akt an und vertraue der Wissenschaft.
Ralf Kirchner von der Fraktion Für Gera verurteilte ebenfalls den Aufmarsch vor dem Haus des Oberbürgermeisters. Eugen Weber sprach über den Unterschied zwischen angemeldeten und nicht angemeldeten Demonstrationen. Stephan Brandner von der AFD findet den Vergleich der Demonstranten mit Nazis absurd. Auch hetze der Innenminister von Thüringen die Gesellschaft gegeneinander auf.
Berichtigung: Bei der Erstveröffentlichung war die Kirche St. Trinitatis angegeben. Dies wurde nachträglich korrigiert.
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