ÜBER DAS STADTGRÜN UND WEITERE HERAUSFORDERUNGEN

Zu sehen ist der Hofwiesenpark am 1. Oktober 2015.

Jörg Kirschnick-Werner, Leiter des Geraer Amtes für Stadtgrün, spricht über seine ersten Arbeitswochen und zukünftige Herausforderungen des Bereichs.

Städtisches Grün entscheidet maßgeblich über die urbane Lebensqualität und gehört damit zu den wichtigsten öffentlichen Räumen in einer Stadt. Attraktive Parks und Grünflächen sind ein hohes Gut für Bürger und entscheidendes Kriterium bei der Wohnortwahl. Viele wissen nicht, dass Gera über den größten zusammenhängenden Stadtwald in Thüringen verfügt, und damit zu den grünen Städten des Freistaates gehört. Für die Unterhaltung und Bewirtschaftung dieses rund 850 Hektar großen Areals, sowie wie unter anderem auch für die Parkanlagen und Spielplätze im Stadtgebiet, ist das Geraer Amt für Stadtgrün zuständig. Seit einem Monat verantwortet Jörg Kirschnick-Werner die Arbeit der insgesamt rund 60 Mitarbeiter. Gegenüber der Stadtverwaltung sprach der 39-jährige studierte Naturschützer und Landschaftsplaner unter anderem über die Besonderheiten urbaner Grünflächen in Gera, seine neuen Aufgaben sowie die Herausforderungen der Urbanisierung und des Klimawandels für die städtische Grünpflege.

I. Herr Kirschnick-Werner, wie haben Sie die ersten Wochen in der Geraer Stadtverwaltung erlebt?

Ich komme ja aus der freien Wirtschaft und war daher sehr neugierig auf das, was mich erwartet. Das immer noch vielerorts verbreitete Vorurteil der eingestaubten Verwaltung kann ich nicht bestätigen. Im Gegenteil: Ich bin überwältigt von der Herzlichkeit des Kollegiums. Die Unterstützung und Offenheit der Menschen machen mir das Ankommen leicht und ich bin sehr dankbar dafür. Dadurch konnte ich mir bereits einen guten Überblick über die vielen Aufgabenbereiche verschaffen und das Amt kennenlernen.

II. Ganz konkret: Welche zentralen Aufgaben haben Sie und Ihre Mitarbeitenden vom Amt für Stadtgrün hier in Gera?

Stadtgrün ist viel mehr als Grün und Rasenschnitt. Neben der klassischen Pflege und Entwicklung der Parks und Grünflächen, kümmern wir uns um alle städtischen Spielplätze, Brunnen und auch die Kunst im öffentlichen Raum. In unserem Aufgabenbereich fallen zudem die kommunalen Bäume im Stadtgebiet, derzeit rund 40’000 an der Zahl, und die Bewirtschaftung des Stadtwaldes. Was vielen nicht bewusst ist: Einen erheblichen Anteil der Arbeit des Amtes macht das Friedhofs- und Bestattungswesen aus. Das beinhaltet zum einen Betrieb und Pflege der 13 öffentlichen Anlagen. In kommunaler Regie ist darüber hinaus das Krematorium. Der damit verbundene Arbeitsumfang hat mich auch überrascht.

III. Inwiefern?

Insgesamt sechs Mitarbeitende tragen neben der Friedhofsverwaltung die Verantwortung für den würdevollen letzten Weg der Verstorbenen. Dazu gehören neben der Einäscherung und Beisetzung zum Beispiel auch der Versand von Urnen sowie die Urnenaufbereitung im Falle einer Umbettung. Diese Aufgaben sind sehr anspruchsvoll. Aus meiner Sicht kommt die öffentliche Wahrnehmung dessen, was im Krematorium jeden Tag geleistet wird, zu kurz. Eine wichtige Aufgabe für das kommende Jahr ist im Übrigen die Erneuerung und Modernisierung der Technik.

IV. Was hat Sie bewogen, sich für die Nachfolge von Matthias Mittenzwey zu bewerben?

Mich reizt das Thema Stadtgrün, denn es bietet mir die Möglichkeit mich zu verwirklichen. Hier verbinden sich zwei meiner Leidenschaften: der Naturschutz und die Arbeit mit Menschen. Parks und Grünanlagen sowie ein grünes und attraktives Wohnumfeld bedeuten Lebensqualität und Vitalität, und das sowohl in ökologischer als auch kultureller Sicht. Stadtgrün fördert Erholung und Gesundheit und ermöglicht Begegnung und Teilhabe. Hinzu kommt, dass Stadtwälder und große Parkanlagen mit altem Baumbestand zahlreichen Tieren und Pflanzen einen Lebens- und Rückzugsraum bieten und damit zum Erhalt des Artenreichtums beitragen. Diese Liste ließe sich noch weiterführen. Als Leiter des Amtes für Stadtgrün habe ich die Möglichkeit an der Gestaltung dieses so wichtigen öffentlichen Raums mitzuwirken und das in einem höchst vielseitigem und verantwortungsvollem Amt. Hinzu kommt, dass ich aus der Region stamme und mit meiner Familie hier fest verwurzelt bin.

V. Wie bewerten Sie die Quantität und Qualität von Geras Grünflächen? Welche Besonderheiten fallen Ihnen hier auf?

Gera gehört zu den grünsten Städten in der Region. Über das gesamte Stadtgebiet verteilt finden sich besondere Perlen: Deutschlands erster
Dahlienschaugarten, der Stadtwald in seiner Größe und die denkmalgeschützten Friedhöfe sind Alleinstellungsmerkmale der Stadt. Erwähnenswert ist auch die vergleichsweise hohe Zahl an städtischen Spielplätzen; derzeit verantworten wir siebzig Areale mit einer Gesamtfläche von rund 100’000 Quadratmetern. Durch die Initiative und Kompetenz der Mitarbeitenden des Bereichs Grünpflege konnten hier viele Schätze, wie beispielsweise die „Grüne Mulde“ und viele Spielplätze, bewahrt und auch geschaffen werden.
Die wahrgenommene Qualität von Stadtgrün wiederum ist abhängig von der Gestaltung, dem Nutzungswert und dem Pflegezustand. Eine sachgemäße Pflege ermöglicht ja erst die vielen Funktionen, die das Stadtgrün für Mensch und Natur hat.

VI. Welche Art der Pflege ist denn sachgemäß?

Hier gehen die Vorstellungen auseinander. Grundsätzlich ist es so, dass eine sachgemäße Pflege nicht zwingend überall intensiv sein muss. In Teilen des Stadtgrüns bietet sich die sogenannte qualifizierte Extensivierung der Pflege an. Qualifiziert bedeutet in diesem Zusammenhang, dass sich die Natur nicht gänzlich selbst überlassen bleibt. Vielmehr wird die Häufigkeit des Mähens so herabgesetzt wird, dass sich Gräser und Wildblumen ungehindert entwickeln können. Das wiederum verbessert das Mikroklima und schafft Lebensraum und Nahrung für unterschiedliche Insektenarten. Man könnte hier auch von einer kultivierten Wildnis sprechen. Dafür braucht es aber auch das richtige Equipment. Es ist ein großer Unterschied, ob das Gras eine Wuchshöhe von 15 Zentimetern oder von über einem Meter hat. Daher muss unser Technikpark in der nächsten Zeit entsprechend angepasst werden.

VII. Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen mit Blick auf den Erhalt und die Pflege des Stadtgrüns in Gera und wie wollen Sie ihnen begegnen?

Auch in Gera erhöhen Urbanisierung und Verstädterung den Nutzungsdruck, der tendenziell zu mehr Flächenversiegelungen und Überbauung führt. Hinzu kommt der Klimawandel und damit verbunden vermehrte Trockenheits- und Sturmschäden, die das Grün anfälliger für Parasiten machen. Wir wissen heute: Intakte Grünflächen leisten in der Stadt einen wichtigen Beitrag, um dem Klimawandel und der Überhitzung von Städten zu begegnen. Stadtnatur dient beispielsweise der Frischlufterzeugung, dem Regenrückhalt aber auch der Beschattung im Sommer. Eine sinnvolle Maßnahme könnte daher die gezielte Entsiegelung von Flächen sein, wodurch zusätzliche städtische Grünflächen gewonnen werden. Aber auch die Ansiedlung neuer, hitzebeständiger Baum- und Pflanzenarten sowie das Zulassen von Stadtwildnis gehören dazu. Dies ist jedoch nur unter der Bedingung einer angemessenen Pflege sinnvoll. In diesem Zusammenhang liegt eine wichtige Aufgabe für mich darin, sowohl Entscheidungsträger als auch die Öffentlichkeit für eine auskömmliche Finanzierung zu sensibilisieren.

VIII. Haben Sie schon konkrete Vorstellungen für die zukünftige Grüngestaltung und -pflege in Gera?

Aus meiner Sicht ist es wichtig, für Gera über ein stärker ökologisches und klimafreundliches Grünflächenmanagement nachzudenken und sich auch vor unkonventionellen Ansätzen nicht zu scheuen. Hier kann man sich viel bei anderen Kommunen abschauen: Bamberg setzt beispielsweise auf artenreiches und extensiv gepflegtes Straßenbegleitgrün. Spannend ist auch Bad Saulgau: Hier wurde bereits vor mehr als 20 Jahren auf eine extensive Pflege umgestellt. Heute sind alle innerstädtischen Grünflächen der Stadt mit Ausnahme von Sport- und Spielplätzen naturnahe Flächen mit großer Artenvielfalt. Das macht sich auch finanziell im städtischen Haushalt bemerkbar. Die Kosten für die Grünpflege in Bad Saulgau sind seit Jahren auf einem vergleichsweise moderaten Niveau. In Gera wollen wir die zielgerichtete Entwicklung von Blühwiesen weiterführen, wie etwa in Bieblach-Ost und auf dem Biermannplatz. Denn von allen flächendeckenden Elementen sind Blühwiesen die mit den meisten Vorteilen. Sie sind vergleichsweise günstig in der Unterhaltung und es bestehen in Grünanlagen und im Straßenraum erhebliche Flächenpotenziale. Zudem haben Wiesen anders als Rasen wichtige regulierende Funktionen, erhöhen also die Lebensqualität und fördern den Artenreichtum. Entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung einer ökologischen, artenreichen und klimaangepassten Gestaltung und Pflege des Stadtgrüns ist jedoch, dass die Öffentlichkeit in Gera die neuen Ansätze mitträgt und sich auch aktiv einbringt.

IX. Wie kann das gelingen?

Zeitgemäße Stadtgrünpflege weicht von traditionellen Pflegevorstellungen ab. Es ist wichtig, die Menschen hier mitzunehmen, etwa durch eine verstärkte Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit. Gleichzeitig geht es darum, die Einwohnerinnen und Einwohner bei der Grünentwicklung oder beim Schutz und Erhalt der Arten einzubeziehen, etwa in Form des urbanen Gartenbaus. Damit ist die gemeinsame Produktion gesunder Lebensmittel auf kleinen städtischen Flächen innerhalb von Siedlungsgebieten oder im direkten Umfeld gemeint. Ein schönes Beispiel für ein solches Projekt sind die Prinzessinnengärten in Berlin. Auf einer jährlich von der Stadt angemieteten Brachfläche entstand 2009 ein Nutzgarten für die urbane Landwirtschaft, der von Anwohnerinnen und Anwohnern betrieben wird. Mittlerweile gibt es hier Spielmöglichkeiten für Kinder, ein Gartencafé und über 400 Beete. Die zahlreichen verschieden menschlichen Nutzungen von Grün in Städten, etwa in Form von öffentlichen und privaten Gartenanlagen, schaffen eine sehr kleinräumige Lebensraumstruktur. Diese ermöglicht eine größere Vielfalt an Arten als in der freien Landschaft.

X. Geben Sie uns noch einen Einblick in Ihren Werdegang! Wo kommen Sie privat und beruflich her?

Meine Wurzeln liegen in der Region, genauer in Schmölln. Mein Herz gehört jedoch Gera. Mit der Stadt bin ich seit vielen Jahren eng verbunden, insbesondere, weil meine beiden Söhne hier geboren wurden. Deshalb beabsichtige ich mit meiner Familie auch hierher zu ziehen. Das hat den Vorteil, dass meine tägliche Arbeit für mich dann auch greifbarer ist. Zur Stadtökologie und dem Naturschutz bin ich tatsächlich über Umwege gekommen. Nach einer Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann war ich zunächst für einige Jahre bei der Luftwaffe. Nachdem ich in Gera meine Fachhochschulreife nachgeholt hatte, entschied ich mich für ein Studium im Bereich Naturschutz und Landschaftsplanung an der Hochschule Anhalt in Bernburg. Zuletzt war ich Leiter einer „Natura 2000“ Station in Thüringen.

XI. Was ist die Aufgabe einer solchen Station?

Natura 2000 ist das größte, grenzüberschreitende Schutzgebietsnetz der Welt. Die insgesamt zwölf Stationen in Thüringen haben die allgemeine Aufgabe, den Artenreichtum zu bewahren. Sie sind auch rechtlich ein fester Bestandteil des Naturschutzes im Freistaat. Dahinter stehen in den Regionen tätige Vereine und Verbände. Die Station bildet hier quasi eine Schnittstelle zwischen behördlichen und ehrenamtlichen Naturschutz. Hinzu kommen eine aktive Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und die Durchführung von Bildungsmaßnahmen.

XII. Amtsleiter setzen meist auch individuelle Schwerpunkte in ihrer Arbeit. Haben Sie schon Ideen?

Mir ist es ein wichtiges Anliegen, die Leistungen des Amtes stärker in den öffentlichen Fokus zu rücken. Das Amt für Stadtgrün ist aus meiner Sicht vielseitiger als es wahrgenommen wird und seine Bereiche sind elementar mit der Attraktivität, Lebensqualität und auch der Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger verbunden. Gerade im Bereich des Friedhofs- und Bestattungswesen habe ich den Eindruck, dass die Arbeit mehr Wertschätzung und Aufmerksamkeit verdient. Hier könnte ich mir beispielsweise vorstellen, den Menschen die Bedeutung des Naturraums Friedhof näher zu bringen, etwa in Form von Führungen. Unsere Friedhöfe sind ja nicht nur Orte der letzten Ruhe, sondern ein wunderbares Stück Natur mitten in der Stadt, Parklandschaften zum Innehalten und ein wichtiger Rückzugsraum für Tiere. Aus biologischer Sicht sind sie kleine Oasen, etwa für verschiedene Vogelarten und Fledermäuse, die man sonst nirgendwo in der Stadt trifft. Gleichzeitig möchte ich neue Ansätze für ein stärkeres Miteinander von Verwaltung und der Stadtbevölkerung schaffen und die Menschen dazu anregen, sich aktiv an der Entwicklung, Gestaltung und Pflege von Geras Grün zu beteiligen.

QUELLE: STADTVERWALTUNG

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