Die stetig zunehmende Enthemmung und die jüngsten Ausschreitungen in Stuttgart kommen nicht überraschend, sondern sind Vorzeichen eines größeren Wandels. Lesen Sie hierzu einen Kommentar.
Als es vor 90 Jahren im Schatten einer Wirtschaftskrise zu Unruhen auf Deutschlands Straßen kam, ahnten die meisten Menschen noch nicht, dass sie bereits Teil einer folgenschweren Kausalkette waren. Könnte sich soetwas in ähnlicher Weise wiederholen, und sind sie Randale von Stuttgart der Auftakt für eine Serie gesellschaftlicher Entladungen in einer neuen Größenordnung? Welchen Weg wird die Entwicklung diesmal nehmen?
Schnell war man bemüht, das Geschehen mit Begriffen wie „Event-Szene“ und „männliche Gewalt“ so zu erklären, dass die Nebenwirkungen vergangener politischer Entscheidungen allenfalls auf eine für den gegenwärtigen Kurs nützliche Weise wieder ins Gespräch kommen. Es würden sich sonst unangenehme Fragen aufdrängen: Welche Auswirkungen hat die Migration aus bildungsferneren Schichten in eine Leistungsgesellschaft, dessen materieller Wohlstand begehrt, aber mit den eigenen Ressourcen nicht erreichen kann? Kann die anwachsende Drogenszene, welche nahezu ungestört immer mehr öffentliche Plätze einnimmt, ein Indikator für enttäuschte Hoffnungen, Versagensängste, Zukunftssorgen, den gesellschaftlichen Verfall und eine zunehmende Verwilderung sein?
Stattdessen werden weniger wichtige Themen in den Vordergrund gerückt und mit zahllosen anderen inhaltlich gleichlautenden Beiträgen publiziert. Relevante Dinge erscheinen dagegen nur in einem Dreizeiler oder werden mit Etiketten versehen, die andere zurückschrecken lassen. Es wird viel geredet und wenig gesagt. Medien, die in einem überhitzten Umfeld die stärksten Emotionen in Szene setzen, dramatisieren und polarisieren, wundern sich über Hassbotschaften unter ihren Artikeln. Sie selbst sind es, die zur Aufwiegelung beitragen.
Kann man davon ausgehen, dass die Unruhen Kalkül sind, die Destabilisierung der Gesellschaft nicht ungewollt ist? Denn Ausnahmezustände sind meistens die Rechtfertigung für strengere Gesetze und Restriktionen, und fast jeder würde ein härteres Durchgreifen in solchen Zeiten befürworten. So ergibt sich auch eine logische Reihenfolge, bevor die Wirtschaft tatsächlich darniederliegt und viele Haushaltskassen leer sind. Was also würde passieren, wenn in acht Monaten eine Pleitewelle heranrollt, mit zunehmender Arbeits- und Perspektivlosigkeit? Wird man dann versuchen, über eine zweite Infektionswelle die Lage ruhig zu halten, um gleichzeitig, ohne großes Hinterfragen, die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft umbauen zu können? Denn mit der Digitalisierung und dem Verschwinden der Mittelschicht werden sowieso viele Menschen als unbändige Randgruppen zurückbleiben. Die Vorarbeit für die langfristige Investition und das Geschäft der Zukunft wäre dann schon geleistet.
Währenddessen wird die öffentliche Aufmerksamkeit nach rechts gelenkt, als käme die größere Bedrohung abermals von dort. Zweifelsohne kann Extremismus aus dieser Richtung einen Staat unter bestimmten Voraussetzung gefährlich mutieren lassen, wie die Vergangenheit zeigt. Doch diese notwendigen Voraussetzungen werden nicht mehr erfüllt. Die heutige Rechte hat keine Vision, keine Ideologie, und nichts, was sie zu einer geballten Bewegung machen könnte. Die Indikatoren für einen neuen Totalitarismus sind dennoch unübersehbar, was bedeutet, dass er während des gemeinschaftlichen Blickes nach rechts aus einer ganz anderen Richtung kommen wird, und zwar bekanntermaßen von dort, wo mit der Vison eines neuen, besseres Systemes gelockt wird, wo man mit Ängsten, Bedrohungen und Feindbildern arbeitet.
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