DER WEG IN DIE NEUE NORMALITÄT — TRANSFORMATIONEN AUF MEHREREN EBENEN

In den kommenden Jahren wird die Politik Leitlinien folgen, deren Ziel ein völlig neues Wirtschafts- und Gesellschaftssystem ist. Die größte Transformation in der Geschichte der Menschheit hat bereits begonnen. Lesen Sie hierzu eine Interpretation.

Unser altes Wirtschaftssystem hat den letzten Wachstumszyklus hinter sich und befindet sich nun in einer Übergangsphase. Das Ende dieser Epoche markierte bereits der finanzielle Zusammenbruch von 2008 und der sich nachfolgend ausbreitenden Schuldenkrise. Währenddessen bahnt sich eine technische Revolution ihren Weg: Mit der Digitalisierung wird rund ein Drittel der Arbeitsplätze künftig nicht mehr benötigt, und der Rest auf ein höheres Anforderungsniveau gehoben. Etwa ein Fünftel des Mittelstandes wird verschwinden, sowie ein Fünftel aller kleinen Läden und Gastronomen. Ebenso kann beispielsweise auch die Hälfte aller Juristen dereinst durch KI-Technik ersetzt werden. Wenn aber ein erheblicher Teil der Menschen seine Einkommensgrundlage verliert, und für denselben Lebensstandard deutlich mehr Wissen abverlangt wird, verringert sich auch der Konsum, und es ensteht eine neue soziale Schicht von Menschen, die nicht mehr systemrelevant sind. Allein deshalb hätte die bisherige Ordnung in der Zukunft keinen Bestand mehr, ebenso das darauf basierende politische System, welches auf eine Steigerung des allgemeinen Lebensstandards angewiesen ist, um nicht in Frage gestellt zu werden. Wenn jedoch die Mehrheit in den Industriestaaten künftig mit weniger materiellen Dingen auskommen soll, bedarf es einer allgemein akzeptablen Begründung:

„Das bisherige Wirtschaftssystem basiert auf der völlig unhaltbaren Prämisse eines grenzenlosen Wachstums auf einem endlichen Planeten. Dieses System hat Ressourcen erschöpft, verschlechtert Ökosystemleistungen, beschleunigt Treibhausgasemissionen, vermindert die Artenvielfalt und bedroht nun das Überleben der Menschen und anderer Arten. Es hat gähnende Ungleichheiten erzeugt, und es erzeugt globale wirtschaftliche Unsicherheit, Verschuldung, Instabilität und Konflikte. 20 % der Weltbevölkerung konsumieren 86 % ihrer Waren, während die ärmsten 20 % nur 1,3 % konsumieren. Die reichsten 20 % verbrauchen 58 % aller Energie und die ärmsten 20 % weniger als 4 %. 20% der Menschen verursachen 63 % der weltweiten Treibhausgasemissionen, während die anderen 20 % nur 2 % einbringen. 12 % der Weltbevölkerung verbrauchen 85 % des weltweiten Wassers. Die reichsten 20 % verbrauchen 84 % des gesamten Papiers und haben 87 % aller Fahrzeuge, während die ärmsten 20 % jeweils weniger als 1 % verwenden.“

Die Vereinten Nationen haben die neue Richtung bereits formuliert; die UN-Charta für nachhaltige Ziele sieht vor, dass sich die Staaten an 17 festgelegten Zielen orientieren. Am 2. April 2012 wurde bei den Vereinten Nationen eine globale Bewegung ins Leben gerufen, die ein neues wirtschaftliches Paradigma schaffen soll. Die Regierungen sind nun angehalten, auf das neue Wirtschaftssystem hinzuarbeiten und entsprechende politische Maßnahmen zu ergreifen. So kam es, dass im Jahre 2019 in der EU erstmals von „Transformationen gigantischen Ausmaßes“ gesprochen wurde, „die bis in die kleinsten Bereiche des Lebens hineinwirken werden.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte am 23. Januar 2020 beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos (siehe „https://www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/aktuelles/rede-von-bundeskanzlerin-merkel-beim-50-jahrestreffen-des-weltwirtschaftsforums-am-23-januar-2020-in-davos-1715534“):

„Diese Transformation bedeutet im Grunde, die gesamte Art des Wirtschaftens und Lebens, wie wir es uns im Industriezeitalter angewöhnt haben, in den nächsten dreißig Jahren zu verlassen — die ersten Schritte sind schon getan — und zu völlig neuen Wertschöpfungsformen zu kommen, die natürlich auch wieder eine industrielle Produktion enthalten und die vor allem durch die Digitalisierung verändert worden sind.“

Das derzeitige BIP-basierte System priorisiert materiellen Wachstum und Konsum auf Kosten von Natur und Mensch. Es wertet die Abschöpfung natürlicher Ressourcen als wirtschaftlichen Gewinn, und ist seit langem bekannt als Maßstab, an dem Volkswirtschaften und Politiker gemessen werden. Die sozialen und ökologischen Kosten des sogenannten Fortschritts bleiben jedoch unberücksichtigt. Deshalb soll das Bruttoinlandsprodukt, kurz BIP, auf seinen ursprünglichen Zweck als Maß für die vermarktete Wirtschaftstätigkeit beschränkt werden, und als Maß dafür, was für diese Aktivitäten bezahlt wird. Geplant ist die Einführung neuer Indikatoren, die über das BIP hinausgehen und künftig in den Vordergrund zu stellen sind.

Ungleichheiten und Einkommensunterschiede sollen in dem neuen System verringert werden, und zwar so, dass jeder Mensch seine Grundbedürfnisse decken kann und damit schon eine Zufriedenheit erreicht ist. Denn der heutige Lebensstandard eines Europäers lässt sich weder auf alle Menschen übertragen, noch ist er in der neuen Arbeitswelt haltbar. Das Ziel, die Armut auf dem Planeten zu bekämpfen, ist demnach nur durch eine Niveau-Angleichung zu erreichen. Um die Zufriedenheit der Menschen messbar zu machen, sollen Indikatoren für das Wohlbefindens entwickelt werden. Die Regierungen werden die Messungen durchführen und das Wohlbefinden als Leitfaden für die öffentliche Ordnung verwenden. Gearbeitet wird derzeit an einem sogenannten GNH-Index. Er bewertet das Niveau des Gebens und Empfangens verschiedener Geschenke der sozialen Zeit, der Güter und der Arbeit, sowie die kulturelle Kontinuität der Schlüsselelemente einer Gemeinschaft. Das derzeitige wirtschaftliche Paradigma beruht zu sehr auf der Produktion von Waren und Dienstleistungen. Daher soll dieses neue Mess-System geschaffen werden, um die Komponenten Glück und Wohlbefinden zu ermitteln.

Was für die Aspekte Glück und Wohlbefinden maßgebend ist, wird hierbei exakt festgelegt. Betrachtet wird der Lebensstandard, insbesondere den Zugang zu Nahrung, Wasser und sanitären Einrichtungen, die Gesundheit, Bildung, Umwelt, verantwortungsvolle Staatsführung, das ökologisches Wohlbefinden, die Kultur, Vielfalt und Belastbarkeit, Vitalität der Gemeinschaft und Zeitnutzung, menschenwürdige Arbeit, soziales Kapital und Konnektivität. Die Politik soll dafür sorgen, dass Maßnahmen, welche die Nachhaltigkeit und das Wohlbefinden fördern, belohnt, und nicht nachhaltige Verhaltensweisen, die das kollektive Wohlbefinden verringern, bestraft werden. Eine wichtige Komponente des Wohlbefindens soll der Altruismus werden. Altruismus wird als Kern aller Aspekte des Glücks verstanden. Das heißt, glücklich ist jener, der altruistisch handelt, also mit Rücksicht auf andere. Dies soll zu mehr Produktivität, Gesundheit und Frieden führen, bei gleichzeitiger materieller Genügsamkeit.

Glück wird dabei im Dokument „New Economic Paradigm“ (siehe „https://sustainabledevelopment.un.org/content/documents/617BhutanReport_WEB_F.pdf“) der Vereinten Nationen (siehe UN-Resolution 65/309) wie folgt beschrieben:

„Dieses ‚Glück‘ hat nichts mit der allgemeinen Verwendung dieses Wortes zu tun, um eine vergängliche, vorübergehende Stimmung zu bezeichnen — heute glücklich oder morgen unglücklich aufgrund eines vorübergehenden äußeren Zustands wie Lob oder Schuld, Gewinn oder Verlust. Es bezieht sich vielmehr auf das tiefe, bleibende Glück, das aus dem Leben in voller Harmonie mit der natürlichen Welt resultiert, mit unseren Gemeinschaften und Mitmenschen, und mit unserer Kultur und unserem spirituellen Erbe — kurz gesagt, weil wir uns total verbunden mit unserer Welt fühlen.“

Ein weiterer bedeutsamer Aspekt des Glücks wird die Gesundheit sein, für die ebenfalls Parameter festgelegt werden. Denn Gesundheit soll als wesentlicher Bestandteil des Wohlbefindens in die Bewertung aufgenommen werden. Auch hier spielt die Digitalisierung eine entscheidende Rolle, wie im Dokument „New Economic Paradigm“ nachzulesen ist:

„Radikale technologische Innovationen müssen unterstützt werden, um ausreichend Nahrung, Energie, Wasser und Wasser zu gewährleisten, sowie andere wesentliche Dienstleistungen für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Erdbevölkerung.“

Ohnehin beinhaltet der Prozess der Ziviliserung (siehe „Über den Prozeß der Zivilisation“ von Norbert Elias) eine Zentralisierung der Gesellschaften und die Veränderung der Persönlichkeitsstruktur. Der Mensch wird mit zunehmendem technischen Fortschritt und wachsenden Abhängigkeiten die Folgen seines Tuns in einem größeren Zeitraum überblicken müssen. Das Ergebnis ist eine zunehmende Selbstkontrolle, zumal da immer mehr Handlungen mit Angst besetzt sind. Aus Unsicherheit werden viele eine passivere Rolle einnehmen, wodurch sie leichter führbar werden. Beabsichtigt ist nun, Teilhabe und Zivilität, hier im Sinne von Demokratie, Toleranz, Verantwortung, Vertrauen, institutionsfähig und steuerbar zu machen.

Das neue System wird so konstruiert sein, dass jene, die nach der alten Normalität weiterleben wollen, zu den Verlierern gehören werden. Die Tagesthemen kommentierten die beginnenden Veränderungen am 6. Mai 2020 wie folgt:

„Der Status quo ante, also zurück zur alten Normalität, ist vielen Wirrköpfen, die sich im Netz unter Widerstand 2020 und anderen Namen tummeln, gerade ein Herzensanliegen. All dieses Spinnern und Corona-Kritikern sei gesagt: Es wird keine Rückkehr zur Normalität geben, wie vorher. Madonna, Robert de Niro und rund 200 andere Künstler und Wissenschaftler fordern zurecht, nach der Corona-Krise Lebensstil, Konsumverhalten und Wirtschaft grundlegend zu verändern.“

Eine neue Denk- und Lebensweise sowie neue Geschäftsmodelle werden die Voraussetzung sein, um in dem künftigen System bestehen zu können. Das Virus hat den Übergang in diese neue Epoche, dem Zeitalter der vierten industriellen Revolution, beschleunigt und wird eine neue Form des Zusammenlebens einleiten. Bestimmte Teile der alten Wirtschaft wurden heruntergefahren, was, begründet mit der Gefahr einer Pandemie, auch weitgehend akzeptiert wird. Mit dem physischen Rückzug der Menschen wurde die Kommunikation zugleich auf die digitale Ebene verlagert. Auf einer Internetseite des Weltwirtschaftsforums (siehe „https://www.weforum.org/great-reset/“) wird die am 3. Juni 2020 ins Leben gerufene Initiative „The Great Reset“ vorgestellt. Das Konzept für einen „Großen Übergang“ wurde erstmals vom Tellus-Institut (siehe „http://www.gtinitiative.org/perspectives/values.html“) erarbeitet. Die Bundesregierung beschäftigt sich ebenfalls mit diesem Übergang in das neue Zeitalter und stützt sich bei ihrer Arbeit u. a. auf wissenschaftliche Berater, die zugleich Mitglied in wegweisenden Organisationen wie dem „Club of Rome“ (siehe „https://www.clubofrome.de“) sind, und auf Transformationsprozesse spezialisiert sind. Zwei dieser waren am 10. Juni 2020 zu Gast in der Gesprächsrunde „Corona — Schock und Zeitenwende“ (siehe „https://www.3sat.de/themen/-corona-schock-und-zeitenwende-100.html“).

Die zu erwirkenden sozialen, wirtschaftlichen, ökologischen und mentalen Veränderungen setzen ein durchdachtes Konzept voraus, welches auch vorsieht, dass durch gezielte Impulse neue wirtschaftliche, soziale und politische Systeme enstehen, die diese Prinzipien manifestieren. Wichtiger Ansatzpunkt ist auch die Bildung. Die Ideen gehen hin zu einer globalen Bildungsplattform. Die zukünftige Bildung wird insbesondere auch die Vermittlung von Werten wie Altruismus, Mitgefühl, Respekt, Verantwortung, beinhalten. Zugleich soll indigenen Werten und dem indigenen Werden eine höhere Bedeutung zukommen. Ein vollständiger Mensch wird sein, wer in die neuen Bildungssysteme integriert ist, heißt es in den Leitlinien.

Zur Anwendung kommen neue Kommunikationstechniken, wie zum Beispiel das Framing, die auf eine Neuausrichtung der Werte und Verhaltensänderung durch Peer-Einfluss hinwirken. Geschehen kann das mittels Social-Media oder einem Livestreaming aus der Zukunft. Das Weltwirtschaftsforums zeigt ein Beispielvideo mit Bedrohungsszenarien (siehe „https://www.swisscomstream.ch/wef/20200603/“). Mit Hilfe der Medien und ebensolchen Darstellungen soll die innere Bereitschaft zur Verhaltensänderung geweckt werden. Die Interpretation der Realität kann dabei durch das Framing verändert werden, indem zu einem bestimmten Ereignis eine Erzählung angeboten wird, die die Mehrheit akzeptiert, wie zum Beispiel konkret im Falle der Corona-Pandemie. Hier geht das Ergebnis schon jetzt in die erdachte Richtung: Jeder einzelne wird mehr zur Verantwortung gezogen, um seine Mitmenschen zu schützen, und nimmt diese auch an. Bei der Argumentation wird es darum gehen, andere von der Notwendigkeit eines neuen Wirtschaftsparadigmas zu überzeugen, wobei der Begriff Gerechtigkeit mit Blick auf die wirtschaftliche, soziale und ökologische hervorgehoben werden soll. Als weitere Argumente angedacht sind das Überleben des Planeten, die sich neu eröffnenden Möglichkeiten zur Gründung profitabler Unternehmen, sowie persönliches Wohlbefinden und Glück. Das neue wirtschaftliche Paradigma erfordert natürlich einen anderen Ansatz für Unternehmen und die Preise für die Herstellung von Waren und Dienstleistungen. Insbesondere besteht Bedarf an neuen Rechtsvorschriften, Strukturen, adaptivem Managementdenken sowie finanziellen und steuerlichen Anreizen. Insgesamt werden die Verbraucherpreise deutlich steigen, sodass die meisten Einkommen nur zur Deckung der vordefinierten Grundbedürfnisse reichen — insbesondere dann, wenn ein sogenanntes bedingungsloses Grundeinkommen bzw. ein universelles Grundeinkommen (siehe „https://basicincome.org“) eingeführt wird. Dieses kann als Steuerungsinstrument genutzt werden, um die Gesellschaft aufgrund ihrer Abhängigkeit in eine bestimmte Richtung zu bewegen.

Wie eine globale Bewegung erzeugt werden kann, ist ebenfalls beschrieben: Kontaktaufnahme mit einzelnen Führungskräften von Nichtregierungsorganisationen, Kontaktaufnahme mit einzelnen Sprechern, die als Personen des öffentlichen Lebens anerkannt sind. Für die Initiierung der Bewegung wird ein geeigneter Zeitraum ausgemacht, anschließend lokale Bewegungen und Finanzierungsorganisationen mit gleichen Interessen, wie die Gates- und Soros-Stiftungen, angesprochen. Sobald sich die Menschen in einer globalen Bewegung für Glück und Wohlbefinden engagieren, soll es einen Rahmen für die Anleitung zum individuellen Handeln und Engagement geben. Zu fördern sind eine dynamische Kultur mit vielfältigen kulturellen Traditionen, ganzheitliches, lebenslanges Lernen, und die Schaffung einer erfüllenden Beschäftigung für alle, die zum Gemeinwohl beiträgt, mit den Prämissen Rücksicht, Verzicht und Hilfsbereitschaft. Es wird beobachtet, wieviele Menschen die neue Normalität akzeptieren. Gegebenenfalls wird wieder ein Schritt zurückgegangen, ein Jahr gewartet und Aufklärungsarbeit geleistet, um dann den Weg fortsetzen zu können.

„The Great Reset“ wird das Thema eines Zwillingsgipfels sein, welchen das Weltwirtschaftsforum im Januar 2021 einberufen wird. Konkret geht es darum, die Grundlagen für ein neues Wirtschafts- und Sozialsystem zu schaffen. „Jetzt ist der historische Moment, um das System für die Post-Corona-Ära zu gestalten“, sagte Klaus Schwab, geschäftsführender Vorsitzender des Weltwirtschaftsforums, in einer Rede und sprach von einem einzigartigen Zeitfenster.

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