In Thüringen müsste die CDU bei Neuwahlen mit erheblichen Verlusten rechnen. In Umfragen liegt sie deutlich abgeschlagen hinter Linkspartei und AFD. An vierter Stelle in der Rangfolge liegt die SPD, gefolgt von den Grünen. Die Linkspartei konnte ihren Vorsprung deutlich ausbauen. Die FDP wäre eher nicht mehr im Landesparlament vertreten. Damit gewinnen die sogenannten politischen Ränder weiter an Stärke.
Bei der geheimen Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten hatte die AFD für den FDP-Kandidaten Kemmerich gestimmt, mit dem Ziel, „das linke Projekt in Thüringen zu beenden”. Kemmerich erhielt die erforderliche Mehrheit; er nahm die Wahl an, trat aber drei Tage später zurück, sodass er seither nur noch geschäftsführend im Amt ist. Zuvor hatte Bundeskanzler Angela Merkel von Afrika aus gefordert, das Ergebnis müsse rückgängig gemacht werden.
In der Welle der Empörung wurde u. a. dem Vorsitzenden des CDU-Landesverbandes vorgeworfen, sich einem demokratiegefährdendem Spiel hingegeben zu haben. Mike Mohring hatte zwar vor der Wahl angekündigt, weder mit der Linkspartei noch mit der AFD koalieren zu wollen, eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei unter Bodo Ramelow jedoch nicht ausgeschlossen. Die Bundesvorsitzende der CDU forderte jedoch eine klare Abgrenzung nach links und rechts, ohne Alternativen zu nennen. Anschließend suchte Annegret Kramp-Karrenbauer den Thüringer Landesverband der CDU auf und hielt eine richtungsweisende Rede, war dort allerdings nicht überzeugend. Kurz darauf kündigte sie ihren Rückzug an.
Unter den Bürgern wird das Geschehen sehr unterschiedlich bewertet. Viele ältere Thüringer zogen einen Vergleich mit dem System der Blockparteien, als die CDU der Linie der SED folgen musste. Andere werten das Vorgehen der AFD als eine perfide Untergrabung der Demokratie. Nach Ansicht des Bundespräsidenten sei die Wahl missbraucht worden, um die freiheitliche Demokratie und deren Vertreter der Lächerlichkeit preiszugeben.
Die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen hat weitreichende Folgen für die CDU als Ganzes. Es werden derzeit drei Szenarien für wahrscheinlich gehalten: entweder eine Öffnung nach links, nach rechts, oder ein Riss mit längeren internen Streitereien und häufigen Führungswechseln. In diesem Falle dürften sich die Wahlergebnisse der CDU jenen der SPD annähern. An ihrem Unvereinbarkeitsbeschluss wird die CDU wahrscheinlich nicht festhalten können.
Alle drei Szenarien könnten langfristig zu einem Erstarken der politisch links angesiedelten Parteien führen, glauben einige Beobachter. Denn aufgrund der deutschen Geschichte würden sie im bestehenden Antagonismus mit sehr viel wirkungsvolleren Assoziationen arbeiten können, als die politisch rechte Seite. Ablehnungen und Ängste ließen sich so über die Parteien hinweg zu einer deutlich stärkeren Gegenbewegung bündeln. Da das Ausschleichen der Demokratie aufgrund übergeordneter und tiefgreifender Prozesse nicht verhindert werden könne, ergäbe sich langfristig eine völlig neue Situation.
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