DIE GEFAHR EINES NEUEN NUKLEAREN WETTRÜSTENS

Hunderttausende Menschen waren in den 1980er Jahren aus Angst vor einer weiteren nuklearen Aufrüstung auf die Straße gegangen. Knapp 32 Jahre später endet ein Vertrag, der dem Wettrüsten Einhalt gebot und zur Verschrottung vieler Raketen führte. Doch die wohl längste Friedensepoche in der Geschichte Europas hat dafür gesorgt, dass bedrohliche Entwicklungen dieser Art vom Großteil der Menschen heute kaum mehr wahrgenommen werden.

Mit dem Ende des INF-Vertrages am Freitag, den 2. August 2019, wächst das Risiko eines neuen Wettrüstens der beiden Großmächte Russland und USA. In Europa, insbesondere Deutschland, sah man ihn als eine wichtige Sicherheitsgarantie. Er war am 8. Dezember 1987 unterzeichnet worden und führte zur Verschrottung von 2692 Kurz- und Mittelstreckenraketen. Auch dem Atomwaffensperrvertrag von 1968 wird keine lange Bestandsdauer mehr eingeräumt.

Der „Intermdediate Range Nuclear Forces Treaty“ hatte eine unbegrenzte Laufzeit und war einer der bedeutensten bilateralen Abrüstungsverträge zwischen beiden Staaten. US-Präsident Donald Trump kündigte ihn am 1. Februar 2019. Fristgemäß endete er sechs Monate später. Der Vertrag räumt die Möglichkeit einer Kündigung bei „außerordentlichen Ereignissen“ ein, z. B. wenn wesentliche Interessen des betreffenden Staates gefährdet sind. Nach Ansicht der US-Regierung ist das der Fall; sie wirft Russland seit 2013 vor, mit dem Marschflugkörper „Iskander 9M729“, entwickelt, produziert und getestet spätestens seit Mitte der 2000er Jahre, gegen den Vertrag zu verstoßen. Offiziell sei eine geringere Reichweite angegeben als tatsächlich möglich. Die erlaubte Reichweitengrenze werde deutlich überschritten, heißt es. Mehr als 2000 Kilometer weit soll „Iskander 9M729“ fliegen können. Russland wirft seinerseits den USA vor, den Vertrag zuerst gebrochen zu haben. Es seien Raketenabwehrsysteme installiert worden, z. B. in Rumänien. Diese habe man so konstruiert, dass sie problemlos umgerüstet werden können, um Offensivwaffen abzufeuern. Am 2. Februar 2019 kündigte Russland den Vertrag ebenfalls.

Beide Länder können nun wieder unbeschränkt landgestützte, atomare Mittelstreckenwaffen entwickeln und aufstellen. Wahrscheinlich ist, dass atomar bestückbare Raketen an den Grenzen zur EU und China bzw. auf den Pazifik-Inseln stationiert werden. Das US-Verteidigungsministerium arbeitet inzwischen an der Entwicklung eines neuen Raketensystems. Es handelt sich hierbei um ein konvenionelles System, dass mit geringem technischen Aufwand zu einem nuklearen umgerüstet werden kann, da lediglich die Sprengköpfe ausgetauscht werden müssen. Es sollen bereits neue Raketen im Wert von über einer Milliarde US-Dollar bestellt worden sein. Stützpunkte in Deutschland sind, was die Steuerung und Stationierung von Waffensystemen bzw. Staffeln anbetrifft, für die USA ebenfalls von großer Bedeutung.

Warum sind die beiden Staaten erneut in eine Eskalationsspirale (siehe Phasenmodell nach Friedrich Glasl) geraten?
Die politischen Entscheidungen und zunehmenden Spannungen können als Folge des sich verändernden wirtschaftlichen Umfeldes angesehen werden. Aufgrund einer langsamen Verlagerung des Kräftepotenziales steigt der Handlungsdruck auf politischer Ebene erheblich. Ohne Reaktionen von westlicher Seite würden sich in Folge dieser Verlagerung die Führungsansprüche auf dem globalen Parkett langfristig ändern. Das in einer schwachen Konjunkturphase befindliche Russland wird den Prozess der Neuordnung für sich höchstwahrscheinlich dann als Chance wahrnehmen wollen, wenn sich der Westen in einem wirtschaftlichen Tief befindet und zudem politisch sowie gesellschaftlich destabilisiert ist. Davon jedenfalls gehen westliche Geheimdienste und Militärkreise in einem entsprechenden Szenario aus.

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