DIE DEMOKRATIE UND DER NIEDERGANG DES STAATES

Bereits in der Schule Platons beschäftigte man sich mit verschiedenen Staatsformen. (Bild: Wikipedia/Mosaik aus Pompeii)

Ein Staat braucht das gemeinsame Zusammenwirken seiner Menschen, um als solcher bestehen zu können. Ändern sich deren Bedürfnisse oder die inneren und äußeren Umstände, organisiert er sich um oder kommt zu Fall. Dabei sind beim Werdegang der sich verändernden sozialen Gebilde durchaus Muster erkennbar. In Zeiten, da die Stabilität der vergangenen Jahre zu schwinden scheint, ist es besonders geboten, danach zu suchen.

Schon vor 2500 Jahren versuchte man, verschiedene Beobachtungen zusammenzufügen und hielt diese schriftlich fest. Der griechische Gelehrte Platon verfasste um 370 vor Christus die Πολιτεία, welche, neben zahlreichen anderen Werken, bei der Orientierung und Einordnung der gegenwärtigen Situation dienlich sein kann.

Platon beschreibt in seinem Werk Πολιτεία, Buch VIII und IX, verschiedene Staatsformen und sieht folgenden Werdengang, ausgehend von der aus seiner Sicht idealen Staatsform: Aristokratie—Timokratie—Oligarchie—Demokratie—Tyrannis. Seiner Auffassung nach hat der Staat dafür zu sorgen, dass die größtmögliche Zahl von Bürgern das größtmögliche Glück erfährt. Dieses Prinzip wird zweieinhalbtausend Jahre später als Utilitarismus bezeichnet. Der Gelehrte entwarf für seinen Idealstaat ein Modell mit drei gesellschaftlichen Ständen. Den ersten bilden die Herrscher, den zweiten die Soldaten, welche für die Sicherheit im Inneren und Äußeren zuständig sind, und der untere Stand besteht aus Handwerkern, Bauern und Händlern.

Die Menschen eines jeden Standes haben die Pflicht, entsprechend ihrer Natur und Vorsehung zum Gemeinwohl beizutragen. Die Natur bestimmt gemäß Platon die Eigenschaften eines Menschen. Und diese Eigenschaften wiederum bestimmen, wer welchen Platz in der Gesellschaft einzunehmen hat. Eingehend auf diese naturgegebenen Eigenschaften beschreibt Platon eine aus drei Teilen bestehende Seele des Menschen: Triebe, Emotionen und Vernunft, wobei von Mensch zu Mensch immer jeweils einer dieser drei dominiert. Im Idealstaat werden die Vernünftigen zu Herrschenden und nehmen damit den höchsten Rang ein. Nach Gefühlen handelnde Menschen werden eher zu Soldaten und gelangen so in den zweiten Stand. Ihre Tugend ist die Tapferkeit. Die triebhaften finden sich im unteren Stand wieder und werden, wenn sie sich die Mäßigung als Tugend zu eigen machen, Handwerker, Bauern oder Händler.

Nun beschreibt Platon, wie sich der Staat von der Aristokratie, in der die Philosophen herrschen, zur Timokratie wandelt. In dieser sind die Siegreichen, Tüchtigen und Ehrgeizigen an der Macht. Danach folgt mit der Oligarchie die Herrschaft der Reichen und des Geldes. Der Verfall der Oligarchie führt schließlich zur Demokratie, welche Platon als Herrschaft der Willkür bezeichnet und sagt, dass sie sich selbst als Staatsform der Freiheit ansieht. Zusammenfassend kann man den Inhalt der Bücher VIII und IX auf folgende Weise darstellen:

In der Aristokratie herrschen die Weisheitsliebenden, die Philosophen. Es sind jene Menschen mit den besten Anlagen, weise und schön in Körper und Seele, bescheiden und genügsam, was das Materielle anbelangt. Sie begehren die Weisheit nicht getrennt voneinander in einzelnen Teilen, sondern zusammenhängend im Großen und Ganzen. Das Einfache, überzeitlich Seiende, das sich niemals ändert, können sie sehen, wohingegen sich Nichtphilosophen nur mit der Mannigfaltigkeit der veränderlichen Einzeldinge befassen. Das Allgemeingültige bleibt den Nichtphilosophen, dem zweiten und dritten Stand, unzugänglich, und dadurch sind die Menschen dort orientierungslos. So wie die Philosophen dem ersten Stand angehören, finden sich im zweiten Stand die Krieger und Wächter des Staates — Militär und Polizei. Sie zeichnen sich durch Stärke, aber ebenso auch durch Weisheit aus. So können die Wächter eingreifen, wenn die weniger weisen Bürger vom rechten Weg abgekommen sind. Das übrige Volk sind Handwerker, Bauern und Händler. Es herrscht Arbeitsteilung: Jeder tut, was er am besten kann und dient so der Gemeinschaft. Zugleich erhält jeder, was er benötigt, um seine Aufgabe im Staat bestmöglich verrichten zu können. Das jedoch heißt nicht, dass jeder das gleiche bekommt. Denn zugeteilt wird nach Bedarf. Ihre Weisheit befähigt die Philosophen dazu, den Bedarf zu erkennen, einzuschätzen und entsprechend dem Stand und der Aufgabe zuzuteilen. Wenn der Staat von fähiger Hand regiert wird, ist ein jeder damit zufrieden. Niemand begehrt ein anderer zu sein oder zu erhalten, was ein anderer erhält. Jeder kann sich seiner Anlage entsprechend ganz und zum bestmöglichen entfalten. Denn darin liegt die größte Glückseligkeit — dass sich die Anlage frei entfaltet. Der Vogel will keine Ziege hervorbringen, und die Ziege keinen Vogel, sondern der Vogel ist glücklich darin, ein gesunder Vogel zu sein, und die Ziege empfindet Glück darin, eine gesunde Ziege zu sein. Und so ist der gesamte Staat gesund und glücklich.

Wenn aber unter den Herrschenden einige ihre Bescheidenheit und Genügsamkeit verlieren, werden sie eifersüchtig werden und darum streiten, wer der Beste ist. Dies geschieht, wenn die alten unachtsam geworden sind und der Jugend zu früh die Dialektik weitergeben. Denn die Jugend neigt zu Wettkämpfen, will sich miteinander messen und zu übertrumpfen versuchen. Der Philosophie und Weisheit wird es jedoch schaden, sie auf diese Art zu betreiben. Daher soll man sie erst nach dem dreißigsten Lebensjahr, wenn sie charakterlich gefestigt sind, die Dialektik lehren.

Andernfalls wird kommen, dass die Ehrgeizigen die Regierenden sind. Diese jedoch werden nicht genügsam sein, sondern sich weiterhin zu übertrumpfen versuchen. Auf diese Weise werden sie Preise erringen und sie ehrenvoll zum Wohle der Gemeinschaft verwenden. Sie werden mit ihren Siegen und guten Taten prahlen. Und sie werden nicht mehr die fähigsten Nachkommen aus ihrer Mitte zu Regierenden machen, sondern ein jeder wird versuchen, seinen eigenen Nachwuchs danach zu verhelfen. Denn sie sind hungrig nach Ruhm und Ehre. Diese Staatsform ist die Timokratie — die Herrschaft der Ehrgeizigen, Tüchtigen, Besitzenden und Angesehenen.

Einige werden versuchen, die Preise einzubehalten, wenn keiner hinsieht. Ihre Kammern werden sich mit Reichtümern anfüllen, denn unbemerkt verbrauchen können sie die Gewinne zumeist nicht. Auch ist die Sitte noch stark genug, sie davon zurückzuhalten. Aber allmählich wird die Gesellschaft auf diese Weise in arm und reich gespalten. Die Reichen werden immer überheblicher werden. Zum Schein werden sie noch immer einen Teil ihres Vermögens für die Gesellschaft einsetzen — aber nicht aus ehrwerten Motiven, sondern nur noch aus Sorge, den Rest zu verlieren. Sie sind geizig und geldgierig geworden, und einjeder schielt auf das Vermögen der anderen und hütet sein eigenes, um es zu vererben. Sie schätzen das Geld und sie ehren die Reichen für ihre Reichtümer allein, wo in der Timokratie der Sieger für seine guten Taten noch geehrt wurde. So ist aus der Timokratie die Oligarchie geworden — die Herrschaft der Reichen.

Aber wo es Reiche gibt, da gibt es auch Arme. Es ist die Natur der Sache, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Das Ausmaß der Armut wird wachsen, und die Verelendung ebenso. So spalten sich dann die Armen in zwei Lager — die einen sind wehrhaft, die anderen schutzlos. Die wehrhaften Armen werden zu Verbrechern und Betrügern. Sie verdienen ihr Brot, indem sie die Reichen bestehlen, ausrauben oder betrügen. Den schutzlosen Armen bleibt nur das Betteln, und oft werden sie des Hungers sterben. Es herrscht Feindseligkeit zwischen armen und reichen Menschen, die in einen Bürgerkrieg mündet. Wenn die Armen wegen der immer weiter fortschreitenden Dekadenz der Reichen diesen Kampf gewinnen, errichten sie die Demokratie.

Oftmals sind es die fähigsten Verbrecher und Betrüger, die in der Demokratie herrschen. Es sind in jedem Falle aber die wehrhaften Armen, die von den Reichen nehmen und einen Teil der Beute an die schutzlosen Armen verteilen. Man kann sagen, dass niemand mehr herrscht, außer der Willkür. Die Willkür nennen sie aber fälschlicherweise die Freiheit in der Demokratie. Gemeint ist aber, dass sich einjeder seiner tierischen Triebe hingeben kann und die Sittengesetze abgeschafft sind. Arme und Reiche sind gleichermaßen dekadent. Die Reichen beschleunigen diese Tendenz zu den Trieben sogar noch, weil es ihnen hilft, ihren Reichtum zu vermehren. Es ist nötig, dass die Armen den dekadenten Lebensstil der Reichen nachahmen, damit die Armen Geld ausgeben und die Reichen Geld verdienen können. Die Demokratie verwirft so alle Sitten und ein jeder darf leben wie er will. So gibt es dann auch keinen einheitlichen gesunden Staat mehr, sondern eine Ansammlung einzelner Menschen. Jeder ist anders und verschieden; jeder ist ein Staat für sich. So kommt es auch, dass manch einer die Demokratie als die schönste Staatsform bezeichnet, weil sie so bunt ist und es Freude bereitet, diese Vielfalt anzuschauen.

Bei alledem darf man eines nicht vergessen — der Staat ist bunt, aber keineswegs gesund. Die Anlagen des einzelnen Menschen können sich nicht gänzlich entfalten. Wie soll einer den Grat an körperlicher und geistiger Wohlgeratenheit erlangen, den er haben könnte, wenn er einen verwöhnten Gaumen hat und seichter Literatur fröhnt? Zu Beginn sind es die Reichen, und die Armen sind anfangs durch die Herrschenden versöhnt. Allerdings werden die Herrschenden immer verwöhnter — wie letztendlich die gesamte Gesellschaft. Sie nehmen den Reichen immer schamloser einen immer größeren Anteil ihrer Reichtümer ab, und geben einen immer kleineren Bruchteil an die Armen weiter. Das Funktionieren dieses Systems aber ist es, womit die Demokratie steht und fällt. Reiche und Arme sind gleichermaßen dekadent, und die Regierenden weisen ihnen gegenseitig die Schuld an der Lage zu, um von sich selbst abzulenken.

Wie sollte sich da nicht der Reiche nach der Oligarchie zurücksehnen, und wie sollte ein geschickter Redner nicht die Armen gegen dieses Gesindel der Reichen und Herrschenden aufhetzen können? So päppelt sich das einfache Volk einen großen mächtigen Befreier auf — einen, der beobachtet hat, dass die Armen nicht zu schwach sind, sich zu wehren, sondern dass sie zu dumm sind, die Täuschung zu durchschauen. Es ist einer, der sie aufhetzt, auf dass er von ihnen zum Anführer auserkoren werde. Aber seine Aufgabe ist unmöglich, obgleich er den besten Willen hat. Am Anfang wird er das Vermögen des Staates verscherbeln müssen, um das Vertrauen des einfachen Volkes zu gewinnen. Sein Dilemma ist es, dass er die gesamten Unfähigen um sich herumgeschart hat.

Dem Demokraten war es gelungen, Fähige und Unfähige zu versöhnen und beide an sich zu binden. Dem Tyrannen gelingt dies nicht. Der Tyrann muss alle Fähigen, Großen, Mächtigen, Reichen, und sonst wie Nützlichen seines Staates vertreiben oder töten, ob er will oder nicht, damit er sicher ist, und niemand da ist, der fähig wäre, ihn zu stürzen. Er führt einen Krieg gegen alle Fähigen und muss trotzdem die Unfähigen ernähren. Wenn das angesammelte Staatsvermögen aufgebraucht ist, muss er die Fähigen und Tüchtigen rücksichtslos ausnehmen. Wenn sie wiederum getötet oder geflohen sind, muss er Krieg mit seinen Nachbarn führen. Er muss Kriegsbeute machen, um die hungrigen Mäuler der vielen Unfähigen zu stopfen, die weder selbst Ackerbau betreiben können, noch wirklich geeignet sind, für ihn die Schlachten zu gewinnen. So ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Tyrannis an ihrer Unfähigkeit scheitert. Die Tyrannis ist ein Ausbluten des Staates an Ressourcen, an fähigen Köpfen und an fähigen Körpern. Der Staat wird von allem, das Hoffnung spenden könnte, gesäubert und erliegt schließlich seiner Krankheit.

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