Innerhalb der SPD wächst die Kritik am Kurs der Partei unter der Vorsitzenden Andrea Nahles, welche das Amt seit dem 22. April 2018 inne hat, und außerhalb bleiben viele der einstigen Wähler skeptisch.
Die Sozialdemokraten leiden bekanntlich unter Stimmenverlusten — einer Entwicklung, die lange vor Nahles zu beobachten war — und arbeiten nun mit Blick auf die kommenden Wahlen an ihrem Profil und der Erneuerung der Partei. Während sich die CDU etwas weiter nach rechts bewegt, geht die SPD einen Schritt nach links, sodass die Unterschiede zwischen beiden wieder größer scheinen. Unlängst beschloss die SPD ihr Sozialstaatskonzept, welches ein Bürgergeld, eine Kindergrundsicherung und einen höheren Mindestlohn beinhaltet. Den Programmentwurf für die Wahl zum Europäischen Parlament billigte der Parteivorstand am 18. Februar 2019 in Berlin. Hier steht das Thema Steuergerechtigkeit oben an. Bezüglich des Mindestlohnes will sich die Partei für eine Anhebung einsetzen. Außerdem ist sie gegen Nationalismus und Abschottung, gegen neue Atomwaffen in Deutschland und Europa und für eine „gemeinsame parlamentarisch kontrollierte europäische Armee“.
Ein Diskussionsthema innerhalb der SPD ist die Änderung des Wahlrechts, um den Anteil der Frauen in den Parlamenten zu erhöhen.
Der Bayerische Rundfunk berichtete am 10. Februar 2019 in der Sendung „Kontrovers“ von Stimmen um Gerhard Schröder und Sigmar Gabriel, die den Kurs von Andrea Nahles nicht befürworten. Es gebe einerseits ein stilistisches Problem mit der Parteivorsitzenden; Äußerungen wie „bätschi“ oder „ab morgen kriegen sie in die Fresse“ würden beispielsweise irritieren. Inhaltlich erwarten sie mehr ökonomische Kompetenz von ihrer Partei. Den sozialen Themen habe man, im Vergleich zur Wirtschaft, zuviel Bedeutung beigemessen, sagte z. B. der Oberbürgermeister der Stadt Fürth, Thomas Jung, gegenüber dem BR. Die Wirtschaft laufe zwar im Augenblick, aber es mehrten sich die Zeichen, dass dies nicht immer so sein werde, fuhr er fort. Dann würden die Menschen seiner Ansicht nach Parteien wählen, welche die Wirtschaftspolitik in den Vordergrund rückten.
Einige Ökonomen aber glauben, gerade in den vergangenen Jahren habe die Wirtschaft in Deutschland nur deshalb wachsen können, weil eben der Niedriglohn- und Leiharbeitssektor geschaffen, und die Kredite immer billiger geworden sind. Gäbe es nur in einem dieser Dinge eine Abkehr, dann fehlten die Voraussetzungen für weiteres Wachstum. Die lange Arbeitslosengeld-Bezugsdauer sei mit der Agenda 2010 überwunden worden. Früher habe man diese oft dazu genutzt, um die Zeit bis zur Rente zu überbrücken. Vom geplanten Bürgergeld profitieren vor allem ältere Arbeitslose, deren Stimmen nun gebraucht würden. Doch zu viele Leistungen hätten steigende Sozialausgaben zur Folge, und damit weitere Schulden. Deshalb könne man davon ausgehen, dass die Gesamtsumme in etwa bleibt und auf die jeweiligen hilfebedürftigen Gruppen anders und unter Verwendung neuer Begriffe verteilt wird.
Scharf angegangen wird die SPD vor allem aber von ihren einstigen Wählern. Dort heißt es, die Partei sei unglaubwürdig, werde nun von Schwundängsten getrieben, was zu Aktionismus und Wahlpopulismus führe. Die sogenannten Reformpläne seien sowohl hinsichtlich ALG II als auch beim Thema Rente panische Schnellschüsse und der Beginn vom Ende der großen Koalition. Der SPD habe die Verbindung zu ihrer Klientel verloren und wolle vor allem im Osten Wähler zurückgewinnen — die verbliebenen alten Menschen. Doch insbesondere im Osten ist die Partei in Verruf geraten und werde zu sehr mit der Agenda 2010, Leiharbeit und Hartz IV in Verbindung gebracht. Die SPD schaffe Arbeit auf Kosten der Arbeitnehmer, heißt es unter anderem. Um den neuesten Wahlpopulismus zu finanzieren, werde die Mittelschicht mit Steuern und Abgaben ausgepresst. Das könne sehr gefährliche Reaktionen hervorrufen, wenn die angekündigte Rezession tatsächlich eintrete.
Als Kritikpunkte an der SPD werden die geringer gewordenen Unterschiede zur CDU angebracht, mangelnde Glaubwürdigkeit, häufige und zugleich hilflos wirkende Versuche der Parteierneuerung und das Mitwirken an der Durchsetzung einer übertriebenen politischen Korrektheit in der Sprache — den Wählern gegenüber. Dadurch entstünden Tabubereiche und die Norm für gesellschaftskonforme Äußerungen würde immer höher, heißt es. Für die einstige Zielgruppe der SPD, dem einfachen Arbeiter, werde es immer schwieriger und riskanter, etwas zu sagen. In der Folge könne man Probleme dort kaum mehr artikulieren. Durch die fehlenden Ausdrucksmöglichkeiten entstünden Unmut oder gar Aggressionen, die dann anderswo artikuliert würden. Die SPD arbeite sich anschließend an diesen Symptomen ab, beschleunige so die gesellschaftliche Spaltung und schlage auf diese Weise selbst den Weg in die Bedeutungslosigkeit ein.
Mit der Gefahr, dass sich erhebliche Teile der Wählerschaft abwenden, ist nicht nur die SPD konfrontiert. Man spricht mittlerweile vielfach von sogenannten etablierten Parteien und geht auf Distanz. Unter Protest- und Nichtwählern ist bereits von einem Sammelsurium an Opportunisten mit schwachen Charakteren die Rede gewesen, die Aufmerksamkeit suchten, Lobbyarbeit leisteten und den Bezug zur Mehrheit der Wähler verloren hätten. Die politische Mitte befinde sich im Niedergang, weil sich die gesellschaftliche Mitte durch eine solche Politik auflöse.
Es gibt Kritiker, die diese Schwäche auf das Fehlen starker Persönlichkeiten zurückführen. Die Kulturrevolution von 1968 habe einen linksgrünen Zeitgeist hervorgebracht, der alle maskulinen Eigenschaften ablehne. Das Resultat nach Dekaden der Umerziehung seien hysterische Frauen und verweichlichte Männer in der Politik, den Medien und der Justiz. Dies führe zu Stillstand mit zunehmendem Durcheinander, und nach einigen Jahren wiederum könnte der Ruf nach dem extremem Gegenteil lauter werden, nach „einem, der kommt, und mal ordentlich aufräumt“, wie es schon heute hinter vorgehaltener Hand, weit abseits der Mikrofone und Kameras, häufig gesagt werde.
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