Inzwischen ist es auf den Straßen von Chemnitz wieder ruhig. Am Sonntag und Montag waren hunderte bzw. mehrere tausend Menschen durch die Stadt gezogen, um zunächst Trauer und Unmut zum Ausdruck zu bringen. Anlass waren der gewaltsame Tod eines 35-Jährigen und die sich verschlimmernden Zustände in Teilen der Stadt. Die Proteste richteten sich sowohl gegen die Regierung als auch gegen eine als unvollständig und suggestiv empfundene Berichterstattung.
Über das Internet benachrichtigt, kamen gewaltbereite Personenkreise verschiedener Lager hinzu und sorgten an mehreren Stellen für eine Zuspitzung der Situation und beängstigenden Szenen. Die Polizei war mit einem großen Aufgebot vor Ort. Für die kommenden Tage sind weitere öffentliche Versammlungen angekündigt. Der Rundfunk meldet die Hinzuziehung der Bundespolizei sowie weiterer Kräfte aus anderen Landespolizeistellen.
Die Ereignisse waren auch am Mittwoch das alles beherrschende Thema in der Stadt und man ist sich weitgehend einig: „Die Demonstranten haben im Grunde Recht, aber es hätte nicht eskalieren dürfen.“ Das Problem sei weniger die Zuwanderung an sich, sondern das Klientel der Zugewanderten und deren Größe, heißt es u. a. in einem Gespräch vor Ort. Das habe „eigentlich nichts mit der Hautfarbe oder dem Aussehen zu tun“. Es seien „völlig wilde und primitive Menschen“ gekommen, „ohne irgendwelche Normen“. Diese machten sich zunehmend in der Öffentlichkeit breit und man könne nichts dagegen sagen.
Berichtet wird von angstauslösenden Begegnungen mit „Macho-Typen“, die Konflikte provozieren „und sich immer mehr herausnehmen“. Den Medien wird vorgeworfen, die Relevanz von Gewalttaten je nach Personenkreis unterschiedlich zu beurteilen und unterschiedlich zu berichten. Wer die Probleme mit diesen Leuten anspreche, werde entweder bloßgestellt oder „mit brauner Farbe markiert“.
Der Frust über „die da oben“ habe sich über viele Jahre angesammelt und die Ursache liege eigentlich ganz woanders, wird uns erklärt. In allen Bereichen, Schule, Arbeit, Vorsorge, Rente, draußen auf der Straße, merke man, wie langsam alles entgleise und „dass der große Knall nicht mehr weit“ sei.
Erneut wenden sich viele Zeitungen dem Thema gleich auf der Titelseite zu. Die Sächsische Zeitung schreibt in ihrer Ausgabe vom Mittwoch, den 29. August 2018, nach den Ausschreitungen in Chemnitz will Sachsens Regierung den Kampf gegen Rechtsextremismus weiter intensivieren. Zu lesen ist die Stellungnahme des Ministerpräsidenten, welcher sagte, der Tod des 35-Jährigen sei politisch instrumentalisiert worden und überhaupt kein Grund für eine Generalverdächtigung aller ausländischen Mitbürger. Die Mobilisierung im Internet beruhe auf ausländerfeindlichen Kommentaren, auf Falschinformationen und auf Verschwörungstheorien gegen den Staat und seine Institutionen. Dies sei zum Teil ein Angriff auf unsere Wahrheitssysteme. Jene, die sich aus Empathie oder auf Grundlage falscher Fakten an den Demonstrationen beteiligt haben, sollen sich genau anscheuen, wessen Geistes Kind die Initiatoren sind.
Die Zeitung „Dresdner Neueste Nachrichten“ titelt „Die bittere Bilanz von Chemnitz: 20 Verletzte, Hitler-Gruß, zu wenig Polizei“. Die „Demonstranten des Bündnisses Chemnitz nazifrei und der rechtspopulistischen Wählervereinigung Pro Chemnitz“ standen sich am Montag unversöhnlich gegenüber. Auf Seite II wird über „Sachsen und der schwierige Umgang mit den Rechten“ berichtet. Auf Seite III erzählt ein Augenzeuge von schwarz vermummten Personen, welche Steine geworfen haben und zieht den Vergleich, es sei wie Krieg gewesen. In demselben Artikel wird ein Augenzeuge des Streits mit tödlichem Ausgang zitiert. Dieser schildert, es sei um nicht beglichene Drogenschulden gegangen. Innenminister Martin Dulig erklärt sich die Eskalationen so, dass viele Menschen sich einen Kanal für ihr Misstrauen gegenüber dem Staat suchen. Zu diesem Misstrauen sei seit 2015 bei einigen große Wut hinzugekommen. Wenn in einer verkürzten Debatte immer mehr Fronten aufgebaut werden, sinke die Hemmschwelle, bei den „echten Neonazis mitzulaufen“.
In der Zeitung „Bild“ des Verlagshauses Axel Springer ist auf der Seite zwei ein Bild zusehen, welches Demonstranten vor dem Karl-Marx-Monument zeigt. Sie halten ein Transparent mit der Aufschrift „Wir sind bunt bis das Blut spritzt“, wobei einer die Hand zum Hitlergruß ausstreckt. Die Zeitung schreibt von einer aufgeheizten Stimmung im Land, die urplötzlich kippen kann, und fragt: „Wer will garantieren, dass die Mehrheit ewig immun bleibt gegen diese abscheuliche Wut?“ Zudem weiß die Zeitung nicht, wie lange Politik und Staat die Bürger noch enttäuschen können, bevor deren Enttäuschung stärker wird als ihre Scham, sich der Wut hinzugeben.
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