Das Schreibersche Haus ist das älteste in Gera und beherbergt heute das Museum für Naturkunde. Die Heimatblätter veröffentlichten im Jahre 1930 folgende geschichtliche Abhandlung des damaligen Stadtarchivars Ernst Paul Kretschmer.
Ein neuer Fund zur Geſchichte des älteſten Hauſes der Stadt Gera.
Es war ein Schreckenstag geweſen – der 20. März 1686!
Zwei Drittel der oberen Stadt waren durch „Verwahrloſung eines Brandes“, der an der Ecke des Johannisplatzes zur Johannisſtraße entſtanden war, ein Opfer der Flammen geworden. Verhältnismäßig ſchnell erholte ſich die Vaterſtadt! Bereits 1688 iſt die Mehrzahl der Brandſtätten wieder bebaut. Damals wurde auch auf der Höhe des St. Niklasberges das alte Haus errichtet, das nach ſeinem letzten bürgerlichen Beſitzer (1847) Schreiberſches Haus genannt wurde, und als einziges Wohnhaus innerhalb der Ringmauer mit einigen Hintergebäuden in der Weidaiſchen Gaſſe den Großen Stadtbrand vor 150 Jahren überdauerte, der 784 Häuſer innerhalb weniger Nachmittagsſtunden am Montag, den 18. September, vernichtete. Das Haus iſt mit den älteſten teilen des Rathauſes und der Stadtapotheke heute Geras älteſtes Wohngebäude. Vom Vorplatze des Hauſes überſchaut man in feſſelndem Bilde die alte Lange Gaſſe (Gr. Kirchſtraße) und die weſtlichen, unteren Stadtteile Geras. Und wer jemals im Mondenſcheine die alte Lange Gaſſe hinaufwanderte, der wird ſich mit einem gewiſſen Zauber Raumwirkungen hingeben können, wie ſie wohl nur in alten Städtchen noch anzutreffen ſind –
„Mondſchein und Giebeldächer in einer alten Stadt –
Ich weiß nicht, warum der Anblick mich ſtets ergriffen hat!“ –
Man ſieht dann, wie die Häuſerwände nach dem Nikolaiberge enger zuſammenrücken, und vor dem Jahre 1896 wurde dieſer Eindruck noch verſtärkt durch das Vorhandenſein kleiner Häuſer an der Stelle der jetzigen pompöſen, in den Einzelformen kleinlichen Freitreppe. Mit der zwiſchen 1717/20 errichteten Salvatorkirche, dem guten Beiſpiel eines gemäßigten, echt bürgerlichen Barocks, das und nach dem großen Brande Geras verdienter Ratsbaumeiſter Johann Gottfried Dicke treu zu bewahren wußte, bildet das alte Schreiberſche Haus, von den älteſten Geraern auch „Stadtgericht“ genannt, mit ſeinen ſchiefergedeckten, maſſig wirkenden, beiderſeits tief herabgezogenen Schieferdach und den Krüppelwalmen im Weſten und Oſten die notwendige Ergänzung zum Bau der Kirche. Als altes Freihaus im Mittelalter errichtet und bis in die Zeiten des Dreißigjährigen Krieges vom reußiſchen Lehnsadel bewohnt, wurde der weitläufige Bau also 1686 ein Raub der Flammen. Unter Verwendung alter Bauteile aus der Renaiſſancezeit des 16. Jahrhunderts wurde damals das alte Haus, ſo wie es ſich uns heute noch zeigt, im Jahre 1688 durch den Kauf- und Handelsherrn Georg Perner errichtet. Der Bau mag Aufſehen in der kleinen Stadt erregt haben. Die mit Stuck reichlich verzierten Innenwände – Spuren davon sind noch heute erhalten – mögen damals die Augen aller auf den Bau gerichtet haben. Und ſo unternimmt es 1688 ein Alumnus unſerer alten Landesſchule, ein Schüler des Gymnaſiums, den Bau in allen Einzelheiten im Stile der Zeit in einer wohlgemeinten Reimerei zu ſchildern. Heinrich Elias Hundertmarck aus Lobenſtein war dem in Leipzig reich begüterten Kauf- und Handelsherrn Perner zu großem Danke verpflichtet. Vielleicht war der Zögling Stipendiat der Familie. Der Hausherr ließ, wohl für ſeine Familie und die Geſchäftsfreunde, das verfertigte Gedicht bei Wolffgang Adrian Werther 1688 drucken, und ſo kam die Nachricht davon auf unſere Zeit. Die ſchwülſtige Widmungsüberſchrift iſt geſchmackvoll auf eine ganze Folioſeite verteilt. Ich gebe ſie hier im Zeilenverbande wieder! Man lieſt da:
Entwurf und Abbildung des von dem Edlen Groß-Achtbaren und Wohl-Fürnehmen Herrn, Herrn Gottfried Perner, berühmten Handelsherrn in Leipzig und Gera nebſt Seiner Jetztvertrauten Eheliebſten Frauen Annen gebornen Buttermannin in Gottes Nahmen mit großen Koſten wohl und zierlich aufgeführten Baues auf dem St. Niclas Berg allhier in Gera aus ſchuldigſter Obliegenheit und zum Zeichen einiger Dankbarkeit vor ſo vielfältig und nicht genug zu verdankende genoſſene Gutthaten mit flüchtigen Kiel abgefaſſet und überreichet von Heinrich Elias Hundertmarck von Lobenſtein
p. t. illustr. Ruthenei Alumno. Gera, druckts Wolffgang Adrian Werther 1688
Das Poem hat folgenden Wortlaut:
Sowohl die Menſchliche als Göttliche Geſchichte
Berichten insgeſamt mit hellem Wahrheits Lichte,
Wie mancher ſchöne Bau durch kluge Künſteley
An dem und jenem Ort verfertigt worden ſey.
Wie herrlich war der Bau, den Salomo aufführte
Von theuren Cedern Holtz, den er ſo prächtig zierte
Mit hellen Silber-Schmuck und Edler Steine Glantz,
Mit blanker Goldes Pracht, umgeben gar und gantz!
Der kluge Beroald hat durch begrüntes Loben
Ein, ſeines Freundes Hauß, biß an die Stern erhoben,
Wie ſolches an der Luſt und Zier und Malerey
Den anderen ſeiner Zeit weit vorgegangen ſey.
Es hat ein Pytheas mit ſanfften Pinſels-Haaren
In Achelaus Hauß die Zimmer überfahren.
Mit ſolchen lauten Ruhm, daß mancher frembder Mann
Diß ſchöne Hauß zu ſeh’n bei ſich bald Luft gewann.
Und, Lieber, rühmet nicht Frau Fama noch jetzunder
Die Trutze der Natur, die Welt gepreißten Wunder!
Was wird doch gleich wie ſie wohl ſtehen jederzeit
Geſchrieben in das Buch der greiſen Ewigkeit.
Noch mancher ſchöne Bau könnt zu Papiere kommen,
Wenn ſich der ſchwache Kiel dergleichen fürgenommen.
Nur einen eintzigen von nicht geringen Schein
Läßt er vor dieſemahl ſich anbefohlen ſein.
Es wollen, Werthſter Mann, Herr Perner! meine
Schrifften
Ihm zur Unſterblichkeit ein Denck- und Danck-Mahl ſtifften.
Er nehme günſtig an, was meine Pflicht ablegt,
Mir bleibt die Dankbarkeit auf ewig eingeprägt;
Solt ich des Haußes Lob, wie ſichs geziemet, preißen,
So müßte meine Fauſt von ſtarken Stahl und Eiſen,
Der weiche Feder-Kiel von harten Demant Stein,
Das flüß’ge Dinten-Naß die Hippocrene ſeyn.
Er hat das ſchöne Werk mit Klugheit aufgeführet
Und auf das koſtbarſte mit Schönheit ausgezieret.
An welchen Ort man nur die hellen Augen kehrt,
Fällt nichts in ihren Schein, als was das Lob vermehrt.
Es iſt der tiefſte Grund von Steinen feſtgeleget,
Der dieſen ganzen Bau auf breiten Schuldern träget.
Die Wände ſtehen da in ihrer steiffen Krafft
Von feſten Steinen, Kalck und ſchrofen Sand bewafft.
Drei Stockwerk finden ſich in dieſes Haußes Raume,
Wohin die Schnecke führt aus einem Eichnen Baume,
So an den hohen Forſt des breiten Daches langt
Und gleichſam mit der Höh am hohen Gipfel bangt.
Es zeigt der erſte Stock zusammt der Wohnung-
Stuben,
Die übern Höhler ſchwebt und tieſen Kellers Gruben,
Den Saal, das Vorhauß und der Küchen ihr Revier
Zuſambt den Kauff Gewölb in weißer Gypfer Zier.
Der Andre ſtellet dar drey Stuben voller Zierde,
So da Herr Zilliger mit großer Kunſt einführte
In dieſes Luſt Gezelt, der Kunſt-beliebte Mann,
Der mit dem zarten Gyps ſo künſtlich ſpielen kann.
In dieſer ſiehet man mit übergroßen Freuden,
Wie Kinder ihre Luſt in Palmen-Zweigen weiden,
Umzingelt überall mit ſüßer Garten Frucht,
Die nur ein Sterblicher ſich zu vergnügen ſucht.
In jene ſiehet man die Wahren häuffig tragen,
Wo ſelbſt der Maria Sohn ſein Zelt hat aufgeſchlagen,
Worbei in offner Lufft der blanke Luſt Altan
ſich ſchon von außen zeigt der frohe Sommer Plan.
Was ſoll ich jetzt von dir du dritte Stube ſagen,
Die du mir allerdings mit Nutzen kannſt behagen!
Mir, der ich mich gesellt zu der Meduſer Chor!
Ich heb ſich Luſtigſte mit ſondern Lob empor!
Nunmehr muß unſer Fuß die Schnecke aufwärts ſteigen,
Wenn ſich der dritte Stock ſoll unſern Augen zeigen,
Woſelbſten man an Zier nicht wen’gen Mangel ſpürt –
Beſonders findet, was nur lieblich glänzt und ziert.
Zwei Stuben laſſen ſich allda gezieret ſehen,
Von dannen das Geſicht kann in die Felder gehen
Und weit und nahe ſehen, erhöhet in der Lufft,
Von dannen man erblickt die Tiefe in der Grufft.
Appelles ſollte wohl mit ſeinen Mahler-Schilden
Den ausgeputzten Saal in ſeiner Form abbilden.
Mein Kiel iſt hier zu ſchwach, er ſtehet ganz vernicht,
Weil ſeiner ſchwachen Krafft die Mahler-Kunst gebricht.
Es ſtehet dieſer Saal, von Titans-Saal beſtrahlet
Und von der Phöben-Burg mit Glantze ſchön bemahlet,
Der helle Phosphorus wirfft seine Strahlen drein –
Sie geben dieſen Saal mit Gold vermengten Schein.
Die hohe Decke iſt mit Früchten überzogen,
Daß in Verwunderung man davon wird gezogen.
Bald ſtehet hier, bald dort ein lächelnd Engels-Haupt
Mit Chloris-Scharlach-Haar und Baum-Smaragd belaubt.
Zwey wärmende Camin ſieht man auf einer Seiten,
Die von dem zweiten Saal den Wind aus Norden ſcheiden.
Ein jeder wird von drey Bruſt Bildern ausgezieret,
Die er in langer Reyh auf ſeinem Haupte führt.
Noch über dieſe Zier bezieren auch die Wände
Ein Dutzend an der Zahl gegoſſ’ne Leuchter-
Hände.
Und was auch über dieß noch mehr zu ſehen ſteht,
Das keinem andern Ding an Zierlichkeit nachgeht:
Es iſt der Ober Forſt (Firſt) mit Schiefer-Stein
beleget,
Worauf das Uegeſtüm die Wolken Thränen ſchläget.
Die Schantze für den Wind iſt in die Lufft erhöht,
Daß heißer Wetter-Grimm daſelbst verübergeht.
Diß iſt das ſchöne Hauß, das herrliche Gebäude,
Woran Herr Perner hat Vergnügen, Luſt und Freude,
Nach ſeines Hertzens Wunſch vergnügt anfangen kann.
Zu dieſem kommen noch viel andere Gebäude,
So dieſes große Hauß bey ſich führt an der Seite,
Wodurch die Koſtbarkeit an ihm wird mehr beehrt
Und ſeine Nutzbarkeit nicht weniger vermehrt:
Es nutzen dieſem Haus die wohlgeräumten Ställe,
Daraus vergnüglich man auf alle Zeit und Fälle
Das Schlacht-Vieh führen kann und einen munteren Gaul
Zum angenehmen Ritt und Ackerbau nicht faul.
Es nützet dieſem Haus, da man ſieht fröhlich irren
Umb ihre Höler her mit einem ſüßen Kirren –
Des Chaons-Vogel-Heer, den ſtolzen Hühner-Mann,
Der ſeine Weiber Schaar zu Neſte treiben kann.
Es nutzet dieſem Hauß das nette Färber-Weſen,
Allwo die Waare wird in Keſſel eingeleſen –
Zu hundertfacher Art in ſeltnen Farben-Safft –
Von dannen nach dem Weſt und Norden hingeſchafft.
Es nützet dieſem Hauß, wenn es mit Feuer-Funcken
Und Glut, den Ceres Safft, ſo nachmals wird getrunken
So nach Notdürfftigkeit geſchickt zu rechte bringt,
Woran die Nahrungskrafft in alle Glieder ſinckt.
Der hier beſungene Bau zwingt uns auch heute noch Bewunderung ab, und über die dickfellige, in Gera längſt ſprichwörtlich gewordene Borniertheit alter Spießer, die im Schreiberſchen Hauſe einen alten Steinkaſten erblickten, der nach ihren Forderungen (im Gemeinderat erhoben) niedergelegt werden müſſe – etwa wie man in dieſen Tagen die ſeit 1884 ſorglich aufgehobenen Reſte unſeres alten Badertores zerſchrotten will – ſind wir heute vielleicht hinausgekommen. Man vergleiche nur einmal das beigegebene Bild, das vom Bubeſchen Hauſe aus aufgenommen wurde (Vermittlung durch das Stadtbauamt)! Der Bau zwingt uns in der Tat Bewunderung ab, als ein Meiſterstück alten, auf Wohlſtand begründeten Handwerks. Ohne Gefallſucht iſt es in den Jahren 1686/88 auf unteren alten Bauteilen der Spätrenaiſſance errichtet worden. Kräftig und naturwüchſig haben es die Handwerksleute als einen Typ des bewuſſten, kraftvollen, uns heute so kläglich anmutenden Bürgertums hinzuſtellen gewußt. Von den Grundmauern bis zu den beiden Schornſteinen im Firſt des Hauſes wirkt das Gebäude einheitlich und geſchloſſen, und es darf uns in der heutigen nüchternen Zeit nicht wundern, daß Frau Sage der Jugend gar geheimnisvolle Dinge über den alten Bau zuzuraunen weiß.
Zigeuner, die vom alten Schreiber, den Beſitzer des Hauſes, einſt freundlich aufgenommen wurden, hatten, wie Eiſel im Sagenbuch des Voigtlandes (Gera 1871) Seite 232 zu berichten weiß, das Haus gegen Feuersgefahr gefeit; ſie hatten dem Beſitzer ein Stäbchen oder Päckchen behändigt und damit das Haus gegen Brand „feſtgemacht“. Nach einer anderen Leſart ſollen die „Tatern“, wie man die Zigeuner früher vielfach nante, „etwas in die drei Linden vorm Hause praktiziert“ haben. Dieſe drei Linden ſind nämlich 1780 gleichfalls – der Wind änderte ſich und trieb die Flammen vom Hauſe weg – vom Feuer verſchont geblieben. Das Haus durfte nach der Volksmeinung, wie ich in meiner Jugend gar oft erzählen hörte, nie im Innern geweißt werden. Der ſchützende Feuerſegen hätte ſonſt nicht in Kraft bleiben können. Noch vor fünfzig Jahren wurde auf dem oberen Boden des Schreiberſchen Hauſes ein Päckchen als jenes Feuerſchutzmittel angeſehen und mit ängſtlicher Scheu gemieden.
Schon das Aeußere des Hauſes läſſt den Beſitz als den eines Kauf- und Handelsherrn erkennen. In kriegeriſcher Ausſtattung grüßt uns noch heute über dem Portal mit den toskaniſchen Pfeilern Merkur, der Gott des Handels, und neben ihm die heitere Göttin des Fleißes.
Die Beſitzer des Hauſes kann ich heute bis in die Lutherzeit zurückverfolgen! 1540, am dornstag nach Inocavit, erhält Heinrich von Wolffersdorf, Ambtmann zu Gera, Beſitzer der Rittergüter Endſchütz und Falka, das „Haus zue Gera auff dem Niclasperge gelegen … mit dem Raumbefreyung (Steuerfreiheit) vnd gerechtigkeit (mit Vorrechten)“ vom Landesherrn als Lehen übertragen. Der von Wolffersdorf beſaß um die gleiche Zeit ein benachbartes Hausgrundſtück!
1555 verſchreibt Heinrich von Ende, der Aeltere zu Gera, „das haus off Sanct Niclas perge ſoweit es ombgriffen … auch den wein pergk am Trebnitzer wege“ (obere Laaſener Straße) ſeiner Frau Anna von Ende zum Leibgeding (Wittwenteil). Aber Geſchlechter kommen und gehen!
1606, September 9., belehnt Heinrich Poſthumus (1572–1635) Abraham von Einſiedel auf dem Gnadenſtein bei Altenburg mit dem „Freyhaus uffn Niclaßberg, ſoweit daſſelbe in ſeinen gebeuden, weitung vnd mauern bezirket vnd die auswendige Tächer vnd deren Trauffen reichen …,vom fördern Thor gegen der alten Kirchen zue, ahn, bis in die gaſſe vors Leimnitzer Stadtthor (Steinweg) hinter der ſchwarzfarbe (Tuchfärberhaus) hin … ohne einige beſchwehr, abrichtung vnd ſteuer, außer Türken- vnd Reichsſteuer“. Der Kauf des Hauſes war am 3. April 1605 vollzogen worden. Eingehende Nachrichten und zahlreiche Lehnsbriefe bewahrt das Stadtarchiv, ſind auch in meiner Stadtgeſchichte von Gera genau verarbeitet worden.
Die begüterten von Einſiedel – ſie ſitzen ununterbrochen ſeit 1384 bis zum heutigen Tage auf Burg Gnandſtein – waren Gläubiger der verſchuldeten von Ende, und das alte Burggut auf dem Niklasberg war dabei Pfandobjekt. Die meiſten Adligen der Umgegend hatten Winterbehauſungen in der Stadt, ſogenannte Freihäuſer und Burggüter. In Gera ſind acht bis neun ſolcher Häuser urkundlich nachweisbar. Sie waren ſeit dem frühen Mittelalter ſteuerfrei (Freihäuser), da den Insaſſen der Häuſer anfänglich die Burg- und ſpäter die Stadtverteidigung oblag. Die von Einſiedel ſuchten das Haus bald zu veräußern. Meinhardt von Etzdorf auf Großaga ſucht das Haus bereits 1606 zu erwerben, Der Landesherr fertigt aber aus unbekannten Gründen den Lehnsbrief nicht aus. Erſt 1616 ſind die von Etzdorf in unzweifelhaftem Beſitze des alten Gebäudes; denn 1616, April 8., verkauft Meinhardt von Etzdorf dem Otto von Pflugk das Freihaus und bittet Heinrich Poſthumus um deſſen Belehnung. Der von Pflugk, aus Coburg nach Gera gekommen, ſtand offenbar in reußiſchen Dienſten. Drei Jahre ſpäter (1619, April 21.) erhält der Stallmeiſter des Heinrich Poſthumus, Friedrich von Grünberg, das Haus. Nach ſeinem Tode veräußert 1638 ſein Bruder und Lehensnachfolger, Hartmann von Grünberg, das Haus an Georg von Wolframsdorf zu Köſtritz und Dürrenberg. Schon 1608 iſt dieſe Familie in unmittelbarer Nähe des Hauſes begütert. Sie Beſitzen damals ein heute verſchwundenes Freihaus, das quer über den heutigen Straßenzug des Nikolaiberges gebaut war, und ſpäter (ſeit 1676) Richterſches Haus hieß. Es brannte 1686 ab, und wurde nicht wieder aufgebaut; ſeine letzten Ueberreſte beſeitigte man erſt 1837. Dieſes Haus hieß 1606, April 2., das „Rothe Hauß vfn Niclaß Berge“. Vor 1606 beſaßen es die von Winkler auf Kretzſchwitz.
Das Haus wird damals als „uffn Niclas Berg zwiſchen der Kirchen (Niklaskapelle) vnnd des Erbarn vnd Vhesten vnsers lieben getrewen Abraham von Einſiedel haus (Schreiberſches Haus) an der Stadt mauren innen gelegen“ bezeichnet.
Das Schreiberſche Haus ging nun mit allen Vorrechten in bürgerlichen Beſitz über. Der aus Leipzig ſtammende Kauf- und Handelsherr Wolf Georg Krauße erwirbt das alte ſchöne Haus, erbaut hier eine Schönfärberei und vermittelt von hier aus als Verleger den Export Geraer Zeuge nach Naumburg, Frankfurt an der Oder, Leipzig, Lübeck und Breslau. Als er das Zeitliche ſegnet (1684), belehnen die Landesherren (Heinrich I., III., IV., VIII. und X.) an Stelle des unmündigen Sohnes Wolf Friedrich Krauße und der Mutter Anna Krauße geb. Buttermann den Curator und Lehnsträger, den Geraer Ratskämmerer Chriſtian Eichmann (1685, April 8.) mit dem Beſitze.
Am 28. Mai 1689 erwirbt Anna verw. Krauße, verehelichte Perner, das 1688 neuerbaute Grundſtück von ihrem Sohne voriger Ehe, den eben genannten Wolf Friedrich Krauße. Unterm 30. Juli 1689 wird der neue Lehenbrief von der Kanzlei dem neuen Beſitzer ausgefertigt. Das Lehen an Gottfried Perner und ſein Weib erſtreckt ſich auf das „Freyhauß uffn Niclasberge, ſoweit daſſelbe in ſeinen Gebäuden, Weitung und Mauern bezirkt und die außwendigen Dächer und Trauffen reichen, ſamt deſſen Eingebäuden vom fördern Thor gegen der alten Kirche zu an bis in die Gaſſe vor das Leubnizer Stadt Thor und anitzo mit dreyen Thoren verwahret iſt, mit einem freyen Röhrwaſſer und allen andern deſſen Würden, Freyheiten, Gerechtigkeiten, Herrlichkeiten (Herrenrechten!), Gebräuchen, Bequemlichkeiten zu bauen, Nutzungen, beſucht und unbeſucht, ohne einige Beſchwer, Abrichtung oder Folge (Kriegsdienſt!) und Steuer, ſo Wir zu Unſerm Nutzen anlegten und in Summa, von aller Beläſtigung, wie die Nahmen haben mag, auſer der Türken- und anderer Reichs-Steuern, ſo Er und ſeine Nachkommen, doch nicht eher geben ſollen, alß wenn Unſere Ritterſchaft künfftig der Röm. Kayſ. Maj., Unſerm allergnädigſten Herrn, oder dem Reich zum beſten von Uns damit beleget werden möchten etc. etc.“ – Gottfried Perner ſchloß 1716 die Augen zum letzten Schlummer. Seine Tochter und deren Mann, der Kauf- und Handelsherr Johann Georg Schreiber aus Erfurt, kommen in Beſitz des Hauſes, und die alte Familie veräußert erſt nach 131 Jahren das Freihaus an die Stadt Gera. Am 16. Auguſt 1847 ging das Gebäude mit kleinem Hof und dem oberen Teile des ſogenannten Schreiberſchen Gartens (hier erhebt ſich heute die Mittelſchule) für 10 000 Thlr. an die Stadtgemeinde über. Urſprünglich war nur an den Erwerb des Gartens gedacht worden, da man eine Erweiterung der Salvatorkirche plante. Johann Auguſt Schreiber, der letzte bürgerliche Beſitzer des Hauſes, ging aber auf einen Teilkauf nicht ein. Schon 1831 (Auguſt 11.) war vom Anweſen der untere Teil, der ſpätere Rödelſche Hof, heute (seit 1897) Geithes Paſſage genannt, abgetrennt worden. Hier befanden ſich die Wirtſchaftsgebäude, das Farb- und Brauhaus des alten ehemaligen Burggutes. Unter dem Nachfolger des Mälzers Rödel, dem Oekonom Focke, hatte die Stadt Gera recht unerquickliche Streitigkeiten betreffs des öffentlichen Durchgangsrechtes auszufechten. Das Haus wurde nun, da 1848 die Juſtiz von der Stadtverwaltung getrennt wurde, zum „Stadtgericht“ beſtimmt. Der Geraer Bürgermeiſter Ernſt Senf war hier der erſte und zugleich der letzte Chef dieſer Behörde. Am 1. April 1855 ging das „Stadtgericht“ – daher der gleiche Name für das Haus – an den Staat über (lt. Geſetz über die Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit 1852, Dezember 4.). Für 1000 Thlr. ging nun 1858 das Haus mit einer 18 Ellen breiten Teraſſe (z. T. Schulhof der Mittelſchule), ohne den Garten, an den Staat über. Erſt am 20. Auguſt 1864 gelang ſeine Rückerwerbung. Die Stadt zahlte damals 9000 Thlr. an den Fiskus. Nun diente der alte Bau privaten Zwecken, und damit begann die Verſchandelung des Hauſes im Innern, die Entfernung des wertvollen Stucks und die Einbauten von Zwiſchenmauern. Die Lithographiſche Anſtalt von Rudolph, die uns zahlreiche Bilder unſerer Stadt beſcherte und mehrere Bände Geraer Mundart verlegte, war vorübergehend hier untergebracht.
– Der Bau wurde ſpäter Mädchenſchule, dann Heim eines Teiles der 1. Bürgerſchule (Mittelſchule). Heute iſt nach vorausgegangenem Anbau eines ſteinernem Treppenhauſes (1904) die Peſtalozzi-Schule hier untergebracht. Ein äußerlich wenig ſchöner Anbau hat den alten Bau in dieſem Jahre (1929/30) weiter verunſtaltet. – wie ſchön man dagegen in dem kleinen Weida die Schule an mittelalterliche Bauten anzupaſſen wußte! –
Wer weiß heute noch etwas von dem alten mittelalterlichen Freihaus! So wechſelte im Laufe von vier Jahrhunderten die Beſtimmung des alten Gebäudes. Ritter und Herren ritten im Zeitalter der Reformation und des „Großen Krieges“ in ihren Puſſen- und Schlitzärmeln ſporenklirrend hinauf zur Höhe des alten Nikolaiberges; dann ſaßen würdige Kauf- und Handelsherren, über ihre Bücher gebäugt, in den unteren gewölbten Räumen. Fracht- und Laſtwagen rollten ſchwer bepackt von hier aus durchs Leumnitzer und Badertor, und heute geht die Jugend ſorglos dort oben ein und aus.
Das vorn im Wortlaut mitgeteilte Gedicht nennt uns den Namen des Innenarchitekten und Stukkateurs: Zillinger. Ob er aus Leipzig ſtammte? Von da kam wenige Jahre ſpäter ja der Leipziger Rats- und Landbaumeiſter David Schatz, um nach Hofmanns Plänen, die aus Venedig ſtammten, den Bau der Salvatorkirche im Auftrage Heinrichs XVIII. zu überwachen. Nur Weniges iſt aus der Bauzeit von 1686/88 in unſere Zeit herübergerettet worden. Die prächtigen Stuckdecken mit den dicken Lorbeerblätterwülſten erinnern an gleiche Arbeiten im Eiſenberger Schloß und der dortigen Schloßkirche. Sie gehören dem Barock an und ſind noch heute in vielen Einzelheiten an der Hand des Wortlautes des vorn mitgeteilten Gereimes zu erkennen. Dicke Schichten von Oel- und Leimfarben haben leider zahlreiche Details der Arbeit von 1688 zum Schwinden gebracht. Schade, daß ſich unſere alten Stadtbaumeiſter ſo wenig um die Erhaltung der alten Decken, Türeinfaſſungen und Kamine des Hauſes kümmerten!
Der bauliche Befund iſt heute kurz folgender: Im Flur ſind noch Kreuzgewölbe erhalten, die der Lutherzeit zugezählt werden müſſen. In dieſe Bauperiode der Renaiſſance gehört auch der rechts vom Eingang gelegene gewölbte Raum, der urſprünglich – ſo nach der Beſchreibung des Poeten vom Jahre 1688 – Küche oder Kaufgewölbe geweſen ſein dürfte. Der Raum gegenüber (jetzt Zimmer Nr. 13) zeigt prächtigen Deckenſtuck in zwei rechteckigen Feldern. Hier befindet ſich in einer Mauerniſche noch ein alter Wandſchrank. Wir haben hier das Zimmer vor uns, das im Gedicht als „Wohnung-Stuben, die übern Höhler ſchwebt und tieſen Kellers Gruben“ bezeichnet wird. Im Werkraum gegenüber, ebenſo im Hausflur, ſind noch überarbeitete Deckenreſte in Form dicker kreisförmiger Wülſte feſtzuſtellen.. Im erſten Stock iſt nichts mehr von Belang aus der Zeit der Erbauung des Hauſes erhalten; dagegen haben ſich im zweiten Obergeſchoß in fünf Räumen noch Stukkaturen aus der Bauzeit von 1688 erhalten, die aber, den verſchiedenen Zwecken des Hauſes entſprechend, oft und dick bis zur Unkenntlichkeit in all ihreren feinen Formen überſtrichen worden ſind. Der Südteil des Korridors bildete den Mittelteil des beſungenen prächtigen Saales. Er zeigt die flachbogige Tür, eingefaßt von toskaniſchen Pilaſtern mit reicher Rankenfüllung der Schafte. Die Decke dieſes Korridorraumes zeigt ein jetzt leeres, damals offenbar bemaltes Mittelfeld, das von einem Fruchtkranz eingefaßt iſt. Zum Saal gehörten die beidſeits dieſes Raumes belegenen Klaſſenräume – die Zimmer Nr. 1 und 2. Der große Geſellſchaftsraum hatte fünf Fenſter nach Süden und je zwei nach Oſten und Weſten. Auch hier ſind zur Belebung der Wandflächen, romantiſchen Liſenen (Putzſteifen) vergleichbar, Wandpilaſter mit Füllungen und Kapitälen zwiſchen den Fenſtern angebracht. Die Nordwand zeigt beiderſeits der jetzigen Korridortür noch mächtige Kamine, deren volutierte und geſchweiſte Aufſätze mit je drei antikiſierenden Büſten dicht an die Decke reichen. Die Decken beider Zimmer (oſt- und Weſtteil des Saales) ſind verhältnismäßig zu reich verziert. In der Mitte ſchaut man ein rundes, von der Frucht- und Lorbeerkränzen umrahmtes Feld, an den den Seiten länglichrunde Felder in Cartouchen, mit dem mittleren durch Spangen-Ornamente verbunden. An den Ecken gewahrt man Engelsköpfe, Ranken und Füllhörner. An den Saal ſchließen ſich die zwei Zimmer, von denen es im Gedichte heißt:
„Zwei Stuben laſſen ſich allda gezieret ſehen,
Von dannen das Geſicht kann in die Felder gehen“ etc.
Das eine Zimmer (Nr. 5 Oſtſeite) zeigt, ebenſo wie das gegenüberliegende nach Weſten (links und rechts vom Korridor), maſſig wirkenden Stuck an den Decken. Die für die Zeit charakteriſtiſchen Lorbeergewinde ſind auch hier verwandt worden. Das Oſtzimmer zeigt als Motiv runde aneinanderoßende, durch Kranz-Umrahmung der Zahl 8 vergleichbare Deckenwülſte, die Anſchluss an ein elliptiſches Mittelfeld gewinnen. Ob nicht unſer jetziges Stadtbauamt, das doch wahrlich viel in unſerem ſo nüchternen Gera zu beſſern wußte, nicht einmal hier Hand anlegen und beſſernd eingreifen könnte! Der Saal gäbe eine prächtige Aula bezw. einen wundervollen Vortragsraum ab, wenn der kleine Korridorraum wieder einbezogen und die zwei kleinen Wände entfernt würden. Die entſetzlichen Farbkruſten müßten, zum wenigſten bei einer Renovation des Hauſes, abgelöſt werden, damit Zillingers Werk uns im 20. Jahrhundert Kunde zu geben vermag von dem kraftvollen, ſelbſtbewußten Bürgertume von einſt. „Wohl dem, der ſeiner Väter gern gedenkt!“
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