Der Geraer Stadtrat hält am Stadtbahnprogramm fest. Bei der Abstimmung am 7. Dezember 2017 wurde die Vorlage zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses für die Neubaustrecke nach Langenberg mit einer knappen Mehrheit von 19 Stimmen abgelehnt. 18 Ratsmitglieder stimmten dafür, zwei enthielten sich ihrer Stimme. Zwei Mitglieder – sie gehören der CDU bzw. Liberalen Allianz an – nahmen aufgrund persönlicher Betroffenheit nicht an der Abstimmung teil. Der Vorlage der Oberbürgermeisterin war ein entsprechender Antrag der CDU-Fraktion vorausgegangen.
Der Bau einer Straßenbahn von Tinz bis zur sogenannten Polizeiwiese in Langenberg ist sehr umstritten. Es handelt sich um ein Projekt der Stufe II des Stadtbahnprogrammes. Dieses beinhaltet insgesamt fünf Einzelprojekte, nämlich die Erneuerung der Strecke Hinter der Mauer (abgeschlossen), der Trasse entlang der Thüringer Straße bis Bieblach-Ost (abgeschlossen), einen neuen Gleiskörper für die Wiesestraße sowie den Abschnitt vom Gleisdreck/Fußgängerbrücke bis Werner-Petzold-Straße. Die Gesamtkosten wurden mit 55,9 Millionen Euro veranschlagt.
Oberbürgermeister Dr. Hahn erklärte, die Straßenbahn fahre nicht bis ins Zentrum von Langenberg, sodass viele den restlichen Weg zu Fuß zurücklegen oder auf den KOM umsteigen müssten. Die Finanzierung der Neubaustrecke nach Langenberg sei nicht gesichert. In Langenberg würden noch immer Grundstücke für den Bau der Straßenbahn blockiert und damit Sanierungsarbeiten an den Häusern der Menschen verhindert, was dem Ortsbild schade. Deshalb solle beschlossen werden, den ÖPNV zwischen der Haltestelle Duale Hochschule und Langenberg nicht mehr vom KOM- auf Straßenbahnverkehr umzustellen. Weiterhin wolle die Stadt Gera in ihrer Funktion als Gesellschafter des neuen GVB, dass der Vorhabenträger die Aufhebung des entsprechenden Planfeststellungsbeschlusses erwirkt.
Zum Aspekt Umweltschutz sagte Hahn, Elektromobilität sei nicht auf die Straßenbahn beschränkt, sondern auch bei Bussen möglich. Sie seien flexibler und besser an den Bedarf anzupassen.
Bernd Leithold, Linkspartei, erinnerte an das Stadtbahnprogramm im Rahmen des Bundesverkehrswegeplanes. Der öffentliche Personennahverkehr sollte hierdruch mit Hilfe finanzieller Unterstützung von Bund und Land effizienter gestaltet werden. Dass es es zur Trennung des Stadtbahnprogrammes in Stufe I und Stufe II kam, habe daran gelegen, dass die verantwortliche Bearbeiterin im Landesamt für Bau und Verkehr unmittelbar nach den Maßnahmen der Stufe I, als die Abrechnung und der Verwendungsnachweis anstanden, pensioniert wurde. Der Bund habe keinerlei Nachforderungen gestellt, führte Leithold aus. Die Insolvenz der Stadtwerke AG und des Geraer Verkehrsbetriebes, die Finanzierung in Verbindung mit der EG-Verordnung 1370 des Europäischen Parlaments und des Rates, sprach er ebenfalls an. Leithold sieht die wirtschaftliche Entwicklung in Zwötzen und Untermhaus durch die Stadtbahn begünstigt. Diese dürfe man den Langenbergern nicht versagen, mit der Begründung, die Bahn führe nicht bis ins Zentrum. Die Linie nach Langenberg komme nämlich nur ohne zusätzliche Fahrzeuge und ohne zusätzliches Personal aus, wenn die Fahrzeit ab Tinz genauso lang wie auf dem Teilabschnitt nach Bieblach Ost sei. Leithold veranschaulichte das Stadtbahnprogramm als Paket, das auch die Wiesetraße beinhalte und erwähnte Investitionen der Wohnungsgenossenschaften in Langenberg, da sie mit der Stadtbahn für ihre Mieter rechneten. Bei einer Aufhebung des Stadtbahnprogrammes stünden die Förderung des Bundes für das Projekt Wiesestraße und die Finanzierung durch den GVB in Frage, warnte Leithold.
Falk Nerger, Liberale Allianz, sprach sich für den Beschluss zur Aufhebung des Stadtbahnprogrammes aus. Man betrachte die Aufhebung nicht als einen millionenschweren Verzicht auf Fördergelder des Bundes und als Belastung des Stadthaushaltes, sondern wolle ein Millionengrab für Steuergelder schließen. Eine Finanzierung sei trotz angekündigter Fördermittel von Bund und Land bis heute aufgrund der fehlenden Eigenmittel nicht realisierbar. Dennoch wurden vorab unter dem damaligen GVB-Geschäftsführer Thalmann Bäume gefällt, eine Deponie aufgegraben und Investitionen getätigt. Auch Nerger stellt die Wirtschaftlichkeit in Frage und befürchtet, man habe sich, was die Erweiterung des Schienennetzes anbetrifft, über die künftigen Wartungs- und Instandhaltungskosten der kommenden Jahre sowie deren Auswirkungen auf den Stadthaushalt keine Gedanken gemacht. Unbeachtet blieben Nerger zufolge auch die mangelnde Flexibilität der Straßenbahn und der Parallelverkehr mit Bussen. Möglicherweise hätten einige von der Trasse profitiert – die meisten Langenberger jedoch nicht, ist Nerger überzeugt. Vielmehr läge die Beendigung des Stadtbahnprogrammes in ihrem Interesse, sagte er mit Blick auf die seit Jahren bestehende Veränderungssperre für Grundstücke.
Andreas Kinder, CDU, argumentierte ähnlich und erachtet nur das Projekt Wiesestraße als notwendig. Aber dafür wolle man nicht die „Kröte“ Langenberg schlucken. Ein Bauvorhaben mit den Fördermitteln eines anderen zu finanzieren, sei zu weit gegriffen. Die Sinn der Straßenbahn nach Langenberg erschließe sich der CDU-Fraktion nicht; man sehe keinen Nutzen, betonte Kinder. Benachteiligt würden die Langenberger im oberen Teil des Ortes sowie die ÖPNV-Nutzer in den umliegenden Gebieten. Die Straßenbahn beschrieb er als ein elektronisch angetriebenes Gerät, das einige wollen, weil es dem gegenwärtigen Zeitgeist entspreche, und deutete an, dass man nicht wisse, wie sich die Mobilität weiterentwickele. Zudem ist er überzeugt, dass eine Linie von Langenberg in die Stadt weniger als 25 Millionen Euro kostet. Auch die Fremdvergabe von KOM-Linien im Norden sprach Kinder wegen der drohenden Verkürzung derselbigen an: Der Bus müsste erst bis zur Polizeiwiese fahren und von dort aus in die Nortteile. Man werde diese Linien wieder neu ausschreiben müssen und das Ergebnis werde ein Verlust von Arbeitsplätzen sein, folgerte Kinder. Die reduzierte Fahrleistung bewirke, dass der Fördermittelgeber weniger Geld für die gefahrenen Kilometer zahlen werde. Dieses Geld werde dem GVB zum Jahresausgleich fehlen; die Stadt müsse den Betrag dann ausgleichen. Die CDU-Fraktion werde der Vorlage deshalb zustimmen und gleichzeitig die Konsequenzen bezüglich der Fördergelder in Kauf nehmen.
Dr. Harald Frank, Fraktionsvorsitzender der Bürgerschaft Gera, sprach von getürkten Zahlen beim Stadtbahnprojekt, um dieses größer erscheinen zu lassen, mit dem Ziel höherer Fördergelder. Dies habe auch die Langenberger Bürgerinitiative nachgewiesen. Es werden Zeit, diesem unsäglichen Treiben mit der Stadtbahnlinie 4 ein Ende zu bereiten. Man wisse nicht, in welcher Höhe Fördermittel fällig würden. Der Abwassersammler auf der Baustelle des ZVMW in Langenberg habe jedenfalls etwa 500 000 Euro mehr gekostet, um die Überfahrt der Straßenbahn zu ermöglichen.
In Langenberg könnte bei einer Abstimmung durchaus die Hälfte der Einwohner, vor allem Wohnungsbetreiber und Rentner, für das Projekt stimmen. Doch in Gera finde sich nur geringes Interesse, wenn man um die Belastung des Stadthaushaltes wüsste.
Nach Ansicht von Monika Hofmann, Vorsitzende der SPD-Fraktion, droht eine Rückzahlung von Fördermitteln, sollte das Stadtbahnprogramm beendet werden. In dem Teilabschnitt nach Langenberg seien, einschließlich der Fördermittel, fast sechs Millionen Euro verbaut worden. Der Oberbürgermeisterin warf sie ein Hin und Her vor. Sie habe im Wahlkampf 2012 die Witschaftlichkeit der Straßenbahnlinie nach Lngenberg in Frage gestellt und die Beendigung versprochen. Dann habe Anfang 2013 in der Zeitung gestanden, dass ein Gutachten nun doch die Wirtschaftlichkeit bescheinige. Daraufhin habe Hahn erklärt, die Langenberger Linie werde gebaut. Später, nach eigenen Berechnungen der Stadtverwaltung, sollte es wiederum nicht wirtschaftlich sein. Das sehe so aus, als würde solange geprüft und begutachtet, bis das Ergebnis stimmt. Weiterhin verwies Hofmann auf das Projekt Wiesestraße als Teil des Gesamtprojektes und sprach von Risiken, sollte es beendet werden.
Ines Wegner, Bündnis ’90/Die Grünen, wünscht mit Blick auf Geras Kreisfreiheit eine attraktive und innovative Stadt. Die Vorlage der Oberbürgermeisterin bezeichnete sie als rückwärtsgewandt. Sie hob die Straßenbahn als einziges barrierefreies Transportmittel hervor. Bei einem Bus müsse man Klappen ausfahren, aber in die Niederflur-Straßenbahn können Menschen mit Kinderwagen, Rollatoren und Rollstuhlfahrer einfach hineinfahren. Die Stadtteile würden enger miteinander verknüpft und entwickelten sich besser. Die Straßenbahn sei eine echte Alternative zum Auto, sagte Wegner. Dem CDU-Politiker Andreas Kinder entgegnete sie nach einer Anmerkung, natürlich stiegen Leute vom Auto auf die Straßenbahn um, wenn denn die Möglichkeit bestehe.
Bernd Leithold von der Fraktion der Linkspartei betrachtet die Stadtbahn als das ökologischste Verkehrsmittel, welches derzeit in Europa fährt. Mit den durch die Linie 4 freiwerdenden Kapazitäten wolle man den Geraer Norden selbst bedienen. Für die Menschen im Norden werde der Bus weiter bis zur Endhaltestelle der Bahn fahren. Sie stiegen auch bisher mindestens einmal um, wenn sie nach Gera wollen. Auch Leithold fürchtet die Rückforderung von Fördergeldern bei einer Beendigung des Projektes.
Hans-Jörg Dannenberg, Vorsitzender der CDU-Fraktion, erklärte, dass man mit Fahrzeugen, die nicht an Schienen gebunden sind, individueller auf Fahrgastströme reagieren kann. Das Schlechtreden von Bussen sei fehl am Platze. Außerdem seien Busse sehr wohl barrierefrei, der Wagenpark des GVB aber dahingehend etwas überaltert.
Dr. Wolfgang Neudert, Linkspartei, sieht beim Treffen einer Entscheidung keine Dringlichkeit geboten. Bis zum Jahre 2019 laufe die Frist des Fördermittelgebers.
Abschließend sprach Langenbergs Ortsteilbürgermeister Matthias Kirsch. Seiner Meinung nach reicht die jetzige Anbindung Langenbergs an den ÖPNV aus. Die Linie 4 betrachtet er als Prestigeobjekt. Verwerflich sei es, dass seit seinem Amtsantritt bislang kein Befürworter der Linie 4 aus dem Stadtrat mit ihm gesprochen habe oder zu einer Sitzung des Ortteilrates erschienen war. Wer wisse schon, welche technischen Möglichkeiten der Beförderung es in einigen Jahren gibt, sagte er. Jena setze beispielsweise auf Elektrobusse. Verwerflich sei es auch, wenn dieses Thema für die bevorstehende OB-Wahl missbraucht werde.
Die Fraktionsmitglieder der Linkspartei (13) und SPD (4) stimmten geschlossen gegen die Vorlage. Abgelehnt wurde sie auch von Bündnis ’90/Die Grünen (1) und einem Fraktionsmitglied der Bürgerschaft. Angenommen wurde sie von den Mitgliedern der CDU-Fraktion (6) und denen der Liberalen Allianz (7), wobei bei beiden jeweils eine Person nicht an der Abstimmung teilnahm, der NPD (1), zwei von sechs Mitgliedern der Bürgerschaft, einem fraktionslosem Stadtratsmitglied und schließlich der Oberbürgermeisterin. Zwei Mitglieder aus den Reihen der Bürgerschaft enthielten sich ihrer Stimme. Die Vorlage ist damit abgelehnt.
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– Bauprojekt „Stadtbahnprogramm Gera, Stufe II – TA 2.2, Heinrichsbrücke bis Gleisdreieck Wiesestraße“
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