DER 17. JUNI 1953 IN GERA

Eine Gedenkplatte auf dem Gehweg in der Rudolf-Diener-Strasse erinnert seit Sommer 2006 an den Volksaufstand in der Deutschen Demokratischen Republik vom 17. Juni 1953. Wegen der Anhebung der Arbeitsnormen bei gleichbleibendem geringen Lohn protestierten die Werktätigen an jenem Tag im gesamten Land. Auch in Gera gingen die Menschen auf die Straße und forderten bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen. In der Schlossstraße und der Rudolf-Diener-Straße war die Lage sogar außer Kontrolle geraten, sodass über Gera der Ausnahmezustand verhängt wurde. Die Rote Armee, die mit Panzern im Einsatz war, löste damals alle Menschenansammlungen gewaltsam auf.

Folgende Werke wurden am 17. Juni 1953 bestreikt:
– VEB Kompressorenwerk, Werk I
– VEB Roto-Record
– Gewosei, Werke II und IV (mit Ausnahme der Genossen)
– RFT Kondensatoren
– VEB Röntgenwerk
– VEB Autoreparaturwerk (mit Ausnahme der Genossen)
– VEB Kolbenringwerk (mit Ausnahme der Genossen)
– IFA Metall
– VEB Filtertuchfabrik

Folgende Werke wurden teilweise bestreikt:
– VEB Kraftverkehr
– VEB Kammgarnspinnerei, Werk I
– WMW Union
– VEB Textilveredlung
– TEWA Schraubenfabrik
– VEB Teppich- und Möbelstofffabrik
– Gewosei, Werk I am 19. Juni 1953 (nur die erste Schicht)

Von den Stadtbezirken Süd und Nord sind keine Streikkomitees bekannt. Lediglich die Betriebe Roto Record und EKM-Kompressorenwerk haben zusammen ein Streikkomitee gebildet.

Lesen Sie hier eine Abschrift der Forderungen des Betriebes Energieverteilung Gera:

Im Interesse einer geordneten Weiterführung unseres Betriebes, über deren Wichtigkeit sich alle Kollegen bewusst sind, ist am 17. Juni 1953, 13 Uhr, eine Protestversammlung einberufen worden, um über die Verordnungen und Anordnungen der Regierung zu diskutieren, die sich zum Nachteil unserer schaffenden Menschen ausgewirkt haben. Von der ganzen Belegschaft wurden ohne Widerspruch folgende Forderungen als gerecht anerkannt:

1. Zurücknahme sämtlicher Lohn- und Gehaltskürzungen

2. Zurücknahme der Kündigungen und Überprüfung der Arbeitsplätze zur unbedingten Einhaltung des Acht-Stunden-Tages für alle Beschäftigten unseres Betriebes.

3. Nachbewilligung des noch offen stehenden Urlaubs aus dem Jahre 1952, welcher in der Betriebsleitung in der gesetzlich festgelegten Zeit nicht bewilligt worden ist, bis zum 31. August 1953.

4. Sofortige Auszahlung und Anerkennung der abgeschlossenen Wettbewerbe.

5. Beibehaltung der dreimaligen Lohnzahlung und Einhaltung der Zahlungstermine bei Lohnempfängern.

6. Wiedereinführung der prozentualen Zuschläge der Sonntagsarbeit bei Schichtarbeitern.

7. Sofortige Abschaffung des Prämiensystems, dafür einen gerechten, dem mittleren Einkommen angepassten Stundenlohn.

8. Wiedergewährung des Haushaltstages an alleinstehenden Frauen mit eigenem Haushalt.

9. Wiedererstattung des Fahrgeldes für auswärtig wohnenden Lehrlinge.

10. Aufhebung der Verordnung über die Anrechnung des Jahresurlaubs bei Kindern und Heilfahrten.

11. Volle Rückerstattung der Barleistungen von Seiten der Sozialversicherung an den Betrieb.

12. Zur besseren Betriebsorganisation und Rentabilität unseres Betriebes fordern wir die Zurückgabe unseres Verwaltungsgebäudes in der Friedericistraße 6, da bei der Erstellung des Verwaltungsgebäudes die Kollegen freiwillige Aufbaustunden geleistet haben.

13. Weiter Senkung der HO-Preise auf ein dem Verdienst der arbeitenden Klasse angepasstes Maß.

14. Im Interesse Gesamtdeutschlands so bald als möglich freie und geheime Wahlen durchzuführen, zugleich Presse- und Informationsfreiheit zu gewährleisten.

Die aufgestellten betrieblichen Forderungen betrachten wir als vordringlich und erwarten, dass bis Sonnabend, den 20. Juni 1953, früh 8 Uhr, die Realisierung anerkannt wird. Die Belegschaft des Betriebes Energieverteilung Gera, Betriebsabteilung Gera, wird die Ruhe bewahren und die Arbeiten in der bisherigen Weise durchführen.
Sollten wider Erwarten die Forderungen nicht anerkannt werden, sieht sich die Belegschaft gezwungen, andere Maßnahmen zu ergreifen.
Dieses Schreiben ist sofort nach einstimmigem Beschluss der Belegschaft an die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, an das Zentralkomitee der sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und an den Bundesvorstand des FDGB zu richten.

Diese Resulotion wird abgesandt im Auftrag der Belegschaft.

Unterschrift Betriebsgewerkschaft, Unterschrift Betriebsparteileitung, Zur Kenntnis genommen: Betriebsleitung der Betriebsabteilung Gera


VERLAUF IN GERA

Durch Rundfunksendungen und Mundpropaganda informiert, beteiligten sich auch die Einwohner Geras an den Protesten.

17. Juni, 7 Uhr bis 8 Uhr
In den Großbetrieben kommt es zu ersten Arbeitsniederlegungen und Belegschaftsversammlungen. Gegen 7 Uhr legen die Arbeiter des VEB Kompressorenwerkes Gera die Arbeit nieder. Eine Acht-Mann-Delegation formiert sich zur Streikbewegung. Im VEB Roto-Record wird ein Streikkomitee gebildet, das die Forderungen der Arbeiter schriftlich fixiert. Die Petition soll an die verantwortlichen Funktionäre des Bezirkes übergeben werden. Ein grosser Teil der Werksangehörigen sammelt sich zur Demonstration.

17. Juni, 10 Uhr bis 12 Uhr
Dem Demonstrationszug schließen sich die Arbeiter vom VEB Kompressorenwerk, der Firma Weber, des Dampfkesselbaus, der VEB Teppich- und Möbelstofffabrik, dem Werkzeugmaschinenwerk Union und des RFT-Werkes und weitere Betriebe an.

17. Juni, 12 Uhr bis 15 Uhr
Die etwa 6000 Demonstranten ziehen vor die Dienststellen von Verwaltung und SED. Auf Transparenten ist zu lesen „Nieder mit der Regierung” oder „Der Spitzbart muss weg”. Der West-Berliner Hörfunksender RIAS berichtet den ganzen Tag lang über die Ereignisse.
Unterhändler im übermitteln im Rat des Bezirkes Gera die Forderungen der Streikenden. Verlangt wird die Herabsetzung der Arbeitsnormen und die Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit. Vor der SED-Kreisleitung Gera-Stadt werden Forderungen nach tiefgreifenden politischen Änderungen laut.
Etwa 120 Personen versuchen in der Greizer Gasse in die Untersuchungshaftanstalt der Polizei einzudringen. Gefordert wird die Freilassung der politischen Gefangenen. Das Rathaus wird besetzt. Propagandatafeln der SED, Transparente und Fahnen werden abgerissen. Die Polizei zeigt sich hilflos.

17. Juni, 15 Uhr bis 19 Uhr
Rund 1500 Wismut-Arbeiter treffen in Gera ein und geben dem Aufstand neuen Schwung. Mit Kippern werden Straßensperren der Polizei durchbrochen und in der Amthorstraße das Tor der Untersuchungshaftanstalt des Staatssicherheitsdienstes eingedrückt. Die Besetzung des Gefängnisses wird durch sowjetische Truppen verhindert. Sie befreien außerdem einen Polizeiverband, der von der Menschenmenge umzingelt wurde. Gegen 17 Uhr verhängt der sowjetische Stadtkommandant den Ausnahmezustand. Die HO-Schaufenster und die Fenster des Hauptpostamtes am Puschkinplatz werden eingeschlagen. Gegen 18.30 Uhr umstellen Wismut-Arbeiter eine Gruppe sowjetischer Soldaten. Es fallen Schüsse, aber niemand wird verletzt.
Mit Waffengewalt werden die Menschenansammlungen zerstreut. Volkspolizei, Rote Armee und MFS nehmen 42 Personen fest. Die Wismut-Arbeiter ziehen sich aus Gera zurück.

18. Juni
In mehreren Geraer Betrieben wird gestreikt. Man verlangt die Freilassung der Verhafteten und die Umsetzung der am Vortag vorgetragenen Forderungen.

19. Juni
Die Diskussionen halten an. Die standrechtliche Erschießung des Jenaer Arbeiters Alfred Diener wird bekannt gegeben.

20. Juni
In der Stadt sind die Gaststätten geschlossen. Posten der Roten Armee und der Volkspolizei bewachen öffentliche Gebäude.


Die SED-Führung bezeichnete den Aufstand als faschistischen Putsch, der vom Westen aus vorbereitet und gestreut worden sei. Staatssicherheitsdienst, Polizei und Justiz hatten nun die Aufgabe, die Rädelsführer zu verhaften und zu verurteilen. Da es weder Hintermänner noch Anführer gab, wurden willkürlich Personen verhaftet und vor Gericht gestellt.
Das Bezirksgericht Gera beispielsweise verurteilte schließlich etwa 70 Personen, die aus verschiedenen Orten des Bezirkes stammten. Die Strafen reichten von sechs Monaten bis zu lebenslänglicher Haft. Den Verurteilten warf man pauschal staatsfeindliche Aktivitäten, mitunter auch noch eine nationalsozialistische Gesinnung vor.


ZEUGENBERICHTE

Ein Zeitzeuge berichtet folgendes:

Der 17. Juni war ein Mittwoch. Ich selbst war Lehrling im Baugewerbe und hatte an diesem Tag Berufsschule. Als der Unterricht beginnen sollte, wurde Sportunterricht auf dem Sportplatz auf den Hofwiesen angeordnet. Die Schulleitung wollte mit dieser Maßnahme wahrscheinlich die Jugendlichen aus dem Stadtzentrum herausbringen, denn in Berlin hatten sich Bauarbeiter gegen die vorgesehenen Normerhöhungen mit Streik und Demonstrationen erhoben. Doch darüber wurde in der Presse nichts berichtet.
Als der Sportbetrieb beginnen sollte, zog ein Demonstrationszug die Sommerbadstraße entlang und rief seine Forderungen laut durch die Straßen. Transparente wurden mitgeführt und alle am Straßenrand stehenden wurden aufgefordert, sich anzuschließen. Wir Berufsschüler ließen uns das nicht zweimal sagen und verließen den Sportplatz um zu erfahren, aus welchem Grund gestreikt wird.
Der ständig zunehmende Demonstrationszug schwenkte in die Neue Straße ein und hatte die SED-Agitatoren eingesetzt, von denen die aufgebrachten Arbeiter zur Ruhe und Besonnenheit aufgefordert werden sollten. Diese „armen Teufel“ wurden von zirka 20 bis 30 Arbeitern umringt. Sobald sie ein Argument widerlegen sollten, wurden ihnen hundert andere Fragen gestellt. Man brüllte auf sie ein, so dass sie überhaupt nicht zu Wort kamen. Von manchem wurde gefordert, sein Parteiabzeichen auf die Straße zu werfen und zu zertreten.
Inzwischen waren vorm Hochhaus Wismutkumpel mit ihren 16-sitzigen Bussen eingetroffen. Weil sich im Parterre die Sparkasse befand und die Gitter heruntergelassen waren, konnte das Gebäude nicht gestürmt werden. So begnügte man sich damit, aus den Zwillingsreifen der Busse die Schlammbatzen herauszukratzen, um die Fenster im ersten und zweiten Stock damit einzuwerfen. Da kam ein Mannschaftswagen der Volkspolizei mit zirka 20 Mann bewaffneter Mannschaft angefahren. Das brachte die Demonstranten noch mehr in Erregung. Das Fahrzeug wurde umgekippt, die Polizisten in die Flucht geschlagen und die zurückgelassenen Waffen auf dem Bordstein zerschlagen. Dabei konnte man sehen, dass sie mit scharfen Munitionen geladen waren. Doch geschossen hat damit niemand.
Da wurde ein russischer Panzer T 34 eingesetzt, der am Hochhaus vorbeifuhr und sich dort postierte. Die Wismutkumpel stellten ihre Busse vor und hinter dem Panzer ab, wodurch die Panzerbesatzung überflüssig wurde. Denn die Busse gehörten der sowjetisch-deutschen Aktiengesellschaft SDAG Wismut.
Weil man am Hochhaus nichts erreichen konnte, wurde die Parole laut „Auf zur Greizer Gasse”. Dort sollten die politischen Gefangenen aus dem Gefängnis befreit werden. So strömten die Massen in ungeordneten Haufen zum Gefängnis. Dort versuchten Zimmerleute mit ihren Äxten das hölzerne Eingangstor aufzubrechen. Einer von ihnen sass bereits auf dem oberen Torbogen, als russische Soldaten eingesetzt wurden, die mit Gewehrkolben wild auf die Massen einschlugen, ohne darauf zu achten, wen oder wo sie trafen. Auf diese Weise wurde das Eingangstor wieder frei und die aufgebrachte Menge in die Greizer Straße gedrängt.
Die Grosse Kirchstraße hinab fuhr ein Panzer mit tiefgesenkter hin und her schwenkender Kanone und trieb die Arbeiter auf den Rossplatz. Die Russen schossen auf das Pflaster, so dass Querschläger in alle Richtungen flogen und die Massen in die Seitenstraßen zurück drängten. Damit war die Demonstration schnell beendet. Keiner wagte sich, einen neuen Demonstrationszug zu bilden.
Die sowjetische Militärkommandantur verhängte eine nächtliche Ausgangssperre und verbot, dass mehr als drei Personen zusammen stehen. Die Information erfolgte über Plakate.

Es wird geschätzt, dass etwa 6000 Menschen am 17. Juni 1953 in Gera auf der Straße protestierten. Einer der dabei war, ist Dr. Horst Vogler. Er lebte von 1945 bis 1980 in Gera und hat neulich niedergeschrieben, was er an diesem Tage erlebte:

Wir Schüler der Oberschule II am Johannisplatz (heute wieder Goethe-Gymnasium/Rutheneum) wurden aus uns zunächst unbekannten Gründen gegen 9.30 Uhr aus dem Unterricht entlassen. Der Weg nach meinem zu Hause in der Schuhgasse führte mich zwangsläufig über den Marktplatz. Dieser war fast ausgefüllt von einer aufgebrachten Menge. Gegen diese Ansammlung, von der offenbar kein Fotomaterial existiert, ist das Häufchen auf dem Foto vor der Bezirksleitung mehr als bescheiden. Die Menge wurde von Rednern animiert, die auf der Terrasse des Ratskellers standen (dieser war meiner Erinnerung nach zu der Zeit geschlossen, aber diese „Rednertribüne“ leicht von außen erreichbar).

Vom Markt ging es dann durch den „Platz der Brotbänke“ (heute Teil des Ratskellers) zum Kornmarkt. Hier wurden vor dem Polizeigebäude Parolen wie „Freie Wahlen!“, „Deutsche an einen Tisch!“ und „Lasst die politischen Gefangenen frei!“ skandiert. Über die Böttchergasse und die Greizer Straße zog die Menge dann zum Gefängnis. Das muss so gegen 11 Uhr gewesen sein. Wie das zeitlich mit dem obigen Bericht zusammenpasst, weiß ich nicht. Vielleicht waren das zwei unterschiedliche Züge zu verschiedenen Tageszeiten dorthin. Nachdem die Menge zum Haupttor des Gefängnisses gelangt war und dieses zu überwinden bzw. zu öffnen versuchte, trafen auf einem Laster Angehörige der kasernierten Volkspolizei ein. Junge Burschen, die von der Menge massiv, aber nicht unfreundlich, verbal attackiert wurden („Hans, du wirst doch nicht etwa auf deinen Vater schießen??!!“). Im Endergebnis sprangen alle (!) vom Laster und warfen unter dem Jubel der Menge ihre Gewehre auf die Straße! Das war an der Einmündung der damaligen Kurzen Straße auf die Greizer Straße, also am (oberen) Zugang zum Gefängnis. Danach drängte die Masse zum Gefängnistor. Was dort mit welchem Erfolg geschah, bekam ich als junger Mitläufer in den hinteren Reihen (also auf der Kurzen Straße ganz oben an der Richterstraße stehend) nicht mehr mit.

Später sah ich in der Nikolaistraße Busse/LKW’s, überfüllt mit Wismutkumpels (das war erst am Nachmittag, denn die kamen von der Frühschicht; wann und welche Kumpels nach Ihrem Augenzeugen an der Bezirksleitung aufkreuzten, geht aus dessen Bericht nicht eindeutig hervor). Sicher hat nicht zuletzt der Schwung, den die Kumpels mitbrachten, zum einen dazu geführt, diesen Aufstand nun als unumkehrbar anzusehen, zum anderen jedoch zum Einsatz der sowjetischen Panzer. Wenn ein solches Ungetüm durch eine schmale Gasse der Altstadt donnert (die Kettenspuren waren später auch für Nicht-Fährtensucher als Erinnerung noch viele Jahre an den Bordsteinen in der Schuhgasse (die war damals kaum mehr als 7-8 m breit), und selbst in der Krummen Gasse (gibt es nicht mehr) zu sehen.

Der Zeitzeuge beschreibt das, was er sah, eindeutig als einen Aufstand der Arbeiter. Die sogenannte Intelligenz und Studenten seien kaum vertreten gewesen. „Mein Vater arbeitete als Buchhalter bei Gera-Druck in einem nicht mehr existirenden Gebäude im Bereich der ehemaligen Angermühle; ich fand ihn nach bangem Suchen nachmittags friedlich und nichtsahnend im Kreise seiner ebenso ahnungslosen Kollegen emsig am Arbeitsplatz”, berichtet Herr Dr. Vogler. Dass Jena bei der Berichterstattung nun weit vor Gera liegt, erklärt er sich so, dass die Geraer Arbeiter und Wismut-Kumpels vermutlich eher oder ausschließlich handelnd denn berichterstattend aktiv waren, wohingegen die Jenaer die besseren Beobachter und Berichterstatter gewesen sein könnten.

Der Geraer Kurt Häßner schrieb seine Erlebnisse im Oktober 2002 nieder:

Am 17. Juni 1953 war ich früh 5 Uhr zur Arbeit nach Wünschendorf gefahren, ins Dolomitwerk. Gegen Mittag kamen Fahrzeuge der Wismut zur Einfahrt zum Werk und die Wismutkumpel verlangten, den Betriebsleiter zu sprechen. Dieser Betriebsleiter lehnte die Forderungen zum Streiken aber ab. Durch diese Ablehnung des Streiks wurd eihm ins Gesicht geschlagen. Nach dieser Tat fuhren die Fahrzeuge weiter nach Gera mit ihren Parolen: „Spitzbart, Bauch und Brille ist nicht des Volkes Wille“ (Ulbricht; Pieck und Grotewohl).
Durch diese Haltung wurde der Betrieb mit Belobigung und Prämien ausgezeichnet. NAch dieser Schicht fuhr ich nach Hause in die Wallstraße, wo ich vom Fenster das Polizeirevier (Alte Post) etwas sehen konnte. Am späten Nachmittag, nach Eintreffen der KVP (Kasernierte Volkspolizei), ist dann die Polizei von ihrem Revier ausgebrochen und räumte die Straßen. Mit ihren Gewehren wurden alle aufgefordert, die Szraße zu verlassen. Auch wir im Haus wurden aufgefordert, die Fenster zu schließen und zu verschwinden, es wird scharf geschossen. Erst über Radio und am anderen Tag konnte man sich von den Ereignissen ein Bild machen.

Ein weiterer Augenzeuge schildert die Ereignisse wie folgt:

„Die Kumpels forderten die KVP auf, unverzüglich die Straße freizugeben, damit sie ihre Fahrt nach Gera fortsetzen können. […] Die KVP säumte links und rechts die Straße ab, um zu verhindern, dass die Kumpels über die Felder die Straße umgingen und zu Fuß nach Gera kommen.“ […] M. […] betonte, dass die [die Kumpels – Anmerkung der Redaktion] daraufhin wieder aufsaßen und die Angehörigen der KVP ihnen dabei behilflich waren und die Bordwände zumachten. Dabei hätten Angehörige der KVP einigen Kumpels gegen die Beine getreten, was der Anlass zu einer Schlägerei geworden ist. Daraufhin hätte der befehlende Offizier dieser Einheit Schießbefehl gegeben, was die Kumpels zum Anlass nahmen, sofort zum offiziellen Angriff auf die Einheit der KVP loszugehen. Sie hätten dabei blitzschnell gehandelt, sodass es der KVP nicht gelang, die Gewehre durchzuladen und haben alle KVP-Angehörigen dieser Einheit blutig niedergeschlagen. M. […] brachte noch zum Ausdruck, dass die KVP dem Erschlagen nur entging, da das Eingreifen, wie er sich ausdrückt, der russischen Panzer erfolgte. „Unter dem Schutz der Panzer unserer Freunde […] sind die Kumpels […] dann […] mit ihren Omnibussen weiter nach Gera gefahren.

Um den Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, werden Zeugen, die ihn selbst miterlebt haben, gebeten, ihre Erlebnisse niederzuschreiben und anderen mitzuteilen. Denn nur so ist es möglich, die Erfahrungen der Vergangenheit bei der Gestaltung der Zukunft einzubeziehen.

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