Gera hat bekanntermaßen einen hohen Altenanteil und auch mehrere große Wohn- und Pflegeheime für diese Generation. Wie die Pflege mit weniger Personal geleistet werden soll, ist dort oft Gesprächsthema. Mit der Pflegereform erhofften sich die hiesigen Angestellten Verbesserungen, doch die Situation scheint unverändert. Einige Fachkräfte der Altenpflege und Pflegehelfer erzählten uns in der vergangenen Woche von ihrer Arbeit in den Geraer Altenwohnheimen und Pflegeeinrichtungen.
Mehr Personal, so wie es in Aussicht gestellt wurde, könne man bislang nicht feststellen, berichten alle übereinstimmend. Die Unzufriedenheit in den Häusern sei nach wie vor sehr hoch. Oftmals würden die pflegerischen Leistungen nunmehr mit besonders wenigen Fachkräften und Helfern erbracht. Bei Ausfällen aufgrund Arbeitsunfähigkeit müssen die verbliebenen Dienste das doppelte Aufgabenpensum bewältigen. Ersatzpersonal gebe es nur selten. Manchesmal müssen die wenigen verbliebenen Kräfte deshalb sieben Tage nacheinander oder mehr arbeiten. Freie Tage würden den entkräfteten Pflegern obendrein noch abgerungen, weil ausgerechnet dann beispielsweise gar niemand im Stationsflur tätig wäre. Doch das ist nicht alles, berichtet man uns. Die Schichtpläne weisen keinerlei Regelmäßigkeit auf und zermürben das Personal zusätzlich. So ist es nicht ungewöhlich, dass man in einer Arbeitswoche zunächst einen sogenannten Teildienst leistet, also morgens vier Stunden und abends vier Stunden erscheint, tags drauf im Spätdienst arbeitet, dann wieder im Frühdienst.
Weil kaum mehr alles zu schaffen ist, leite das Fachpersonal eigene Aufgaben oft auch an die Pflegehelfer weiter, ohne dass diese hierfür befähigt sind. Als Beispiele werden das Verabreichen von Arznei und das Anschließen von Magensonden genannt. Der Beschäftigungstherapeut bewirtschaftet die Küchen und reicht das Essen und die Getränke dar, der Praktikant muss allein und ohne Einarbeitung die Pflege übernehmen, „um den völligen Zusammenbruch der Versorgung zu verhindern”. Da könne es schonmal vorkommen, dass Bettlieger längere Zeit in ihren Ausscheidungen auf Hilfe warten müssen. Eine Helferin, die anonym bleiben möchte, berichtet: „Das Problem wird immer so an uns herangetragen, dass wir die unzulässigen Dinge schließlich freiwillig tun – ganz gleich ob es um die Überschreitung der Arbeitszeiten oder die Aufgaben der Fachkraft geht.“ Zeitraubend sei nach wie vor die Dokumentation, ärgert sich die examinierte Fachschwester. Dadurch erhöhe sich die Arbeitsbelastung zusätzlich. Manche Kollegin nehme die Schreibarbeiten sogar schon mit nach Hause.
Aufgrund der schwierigen Situation ist das Betriebsklima in vielen Einrichtungen schlecht, wie beispielsweise nahe dem Rathaus oder unweit der Villa Bardzki. Es wird geschimpft, beleidigt, geschrien, wodurch somancher nach der Arbeit weinend oder innerlich aufgebracht den Heimweg antritt und sich nach einer neuen Arbeitsstelle umsieht. „Es gibt einen ständigen Wechsel; die Leute kommen und gehen“, beschreibt die Fachschwester die Folgen.
Dass sich die Situation bessert, glaubt sie nicht, und führt gleich mehrere Gründe an. Zwar werde durch die Reform die Demenz besser berücksichtigt, doch andere pflegerische Bereiche dafür weniger, sodass bei der Bewertung der Hilfebedarf im Ergebnis geringer ausfallen kann als anfänglich erwartet. Das habe natürlich auch finanzielle und personelle Konsequenzen in den Häusern. Zudem würden viele Pflegebetriebe wie ein privatrechtliches Unternehmen geführt – mit dem Ziel, Gewinne zu erwirtschaften. Die Knappheit werde deshalb ein ständiger Begleiter sein. In einigen Jahren, wenn die Hilfebedürftigen mehr geworden, aber finanziell schlechter bedacht sind, könne es zu deutlichen Veränderungen bei der Versorgung kommen, vermutet unsere Gesprächspartnerin und fügt an: „Vielleicht ist aber genau das die Kunst der heutigen Experten, Konzepte und Reformen zu entwickeln, die den Anschein erwecken, um in der Realität etwas völlig gegenteiliges zu bewirken.“
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